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Village VoiceIst das nicht... New Wave?!

■ Heiteres Liederraten (und sogar ein bißchen mehr) auf dem City-Slang-Label

Zehn Jahre ist es her, da nölte ein Rotschopf schlicht: „Ich will Spaß“ (Gas geben wollte er auch). So etwas firmierte unter „Neue Deutsche Welle“ und verdrehte das wirklich Neue, ein hartes, aggressives Lebensgefühl ins Trivial-Harmlose. Was nicht heißt, daß „New Wave“, die internationale Ausgabe davon, nicht ebenfalls „Spaß“ bedeutete. Sogar wiederaufgelegt bereitet sie noch Vergnügen. Zum Beispiel mit „Ca plane pour moi“, das damals nur deshalb niemand recht schätzen wollte, weil es aus Frankreich kam – und nicht aus London.

Jetzt bleibt, wenn Plastic Bertrands einziges Vermächtnis in belebten Räumen läuft, allenthalben jemand stehen und fragt: „Ist das nicht...?“ Dabei liest längst ein Laserkopf die Information von einer CD mit 19 Stücken, alles Coverversionen. Auf dem Sampler, den hierzulande das Berliner Label City Slang herausgibt, haben US-amerikanische Bands die Vergangenheit entdeckt: „Yesterdays's New Wave Hits as Performed by Today's Stars“. Es ist also doch nicht Plastic Bertrand im Original. Zu hören sind (unter anderen) Superchunk, Das Damen, The Muffs, Permanent Green Light, Yo La Tengo, Mudhoney und, grandiose Opener, Sonic Youth. Und sofort haben die, die da „Ist das nicht...?“ gefragt haben, eine Story parat, wann und wo dieses oder jenes Stück gehört wurde. Meist in jenem Lebensabschnitt, in dem Politik und der Wunsch nach selbstbestimmtem Leben zu entscheidenen Größen wurden – die Frage nach der Alternative Pille oder Temperaturmessen, industriegenormtes „Artificial Life“ oder Ökofrieden mit Hilfe des Kalendariums aus Umweltschutzpapier eingeschlossen. Aus Angst vor einer Abtreibung streckten manche, zumindest in dieser Angelegenheit, frühzeitig die Waffen. Abtreibung ist genau das Thema des New-Wave-Samplers, den Tannis Root, ein Kollektiv von T-Shirt-Druckern aus North-Carolina, organisiert hat. Die „united kids“ von einst zeugen mittlerweile selbst Kinder, an den Fragen aber hat sich nichts geändert. In China sollen Frauen abtreiben, wenn sie bereits Mutter eines Kindes sind. Westliche Zeitungen berichten von „Eingreiftrupps“, die schwangere Frauen zum Abbruch und zur Sterilisation zwingen. In den Vereinigten Staaten dagegen wurde die Kriminalisierung von Abtreibungen diskutiert. Die Heiligkeit des Fötus war Thema im Wahlkampf des Ex-Präsidenten. „Freedom of Choice“, der Titel der Compilation, hat weltweit seine Berechtigung. Der Gewinn, den die Platte einspielt, kommt Planned Parenthood zugute, einer amerikanischen Organisation, Pro Familia und Pro Choice- Verfechter zugleich, die sich bislang allein aus Spenden finanziert. Wer sich keinen verschwiegenen Privatarzt leisten kann, braucht solche Anwälte.

„Freedom of Choice“ ist aber nicht zuletzt auch ein Zitat von Devo. Von deren Chairman Gerald V. Cascale stammt das dem Sampler beigelegte Schreiben, das auf die Autonomiedebatte Anfang der Achtziger verweist und an „New Wave“ erinnert – als eine Form des Aufbegehrens, die „Spaß“ erlaubte. Mit Anführungszeichen. Denn wer nur die gute Laune der Neuen Deutschen Welle wollte, hatte nichts begriffen. Darum geht es auch auf diesem Sampler. Mit viel Getöse und noch mehr Gitarren haben die „Today's Stars“ die Kultur der „united kids“ der Gegenwart angemessen wiederbelebt und zu einer reichlichen Stunde heiteren Liederratens geordnet (weshalb die Gecoverten, Plastic Bertrand ausgenommen, hier auch nicht genannt werden). Über 15.000 Stück sind in Berlin bereits vorbestellt. Claudia Wahjudi

Tannis Root Presents: Freedom of Choice/ City Slang 04911

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