Village Voice: Volksmusik
■ Die erste Platte von Frill Neck, einem australischen Duo mit Wohnsitz in Berlin
Das globale Dorf bescherte uns Ethno. Dabei steht der Begriff Ethno nicht für einen einheitlichen Stil als vielmehr für die Möglichkeit, alles überall zu hören, herausgerissen aus den kulturellen und sozialen Zusammenhängen und damit seiner Authentizität beraubt. Kein Klang kann von weit genug herkommen, um unentdeckt zu bleiben. Früher wußte ein Norddeutscher nicht mal, wie ein Alphorn aussieht, heutzutage kann (fast) jeder was mit dem Wort Didjeridoo anfangen. Dieses Instrument der australischen Ureinwohner, der Aborigines, ist wahrscheinlich eines der ältesten der Welt und inzwischen so modern wie seit ein paar tausend Jahren nicht mehr. Das Blasinstrument wird in letzter Zeit vermehrt zur Verzierung von Durchschnittsmusik eingesetzt, hat mithin fast den Platz eingenommen, den die Sitar in den auslaufenden Sechzigern und beginnenden Siebzigern innehatte. Auch wenn man im Zeitalter des Samplers keine Instrumente aus Holz und Blech mehr konsultieren müßte, wenn man einen außergewöhnlichen Klang braucht, gibt es doch auch in der Branche Modeströmungen, die mit den üblichen Aufs und Abs verlaufen. Im Moment ist das Didjeridoo halt in.
Der Zeitgeist versucht, den immer gleichen Brei dank eines halbwegs neuen Beiwerks unter die Leute zu bringen. Die Volksmusiken möglichst weit entfernter Länder werden geplündert, um als Zierat für den alten 4/4 zu dienen. Aber es gibt auch Musiker, die versuchen, auf der Grundlage eines solchen Instruments, wenn schon nicht neue, dann doch zumindest andere Musik zu schaffen.
Frill Neck, ein australisches Duo, das schon seit längerem in Berlin lebt, sind ein Beispiel für beides. Ihre titellose Debüt-CD beginnt mit „Dance“, instrumentiert mit „Didjeridoo und geschlagenem Holzkoffer“. Eine Songstruktur im klassischen Sinn ist erst gar nicht vorhanden, der Rhythmus nur Rudiment und doch kompliziert für unsere Ohren, die eine nach vorne gemischte Beatbox gewöhnt sind. Die Töne tröpfeln, kratzen, fließen, sinken, eine Melodie, wie wir sie kennen, sucht man vergeblich. Wenn man die Suche aufgegeben hat, und sich dem eigenartig archaischen Klang des Didjeridoo hingibt, falls man es wirklich schafft, die Jahrtausende Prägung mit westlicher Musik abzulegen, weiten sich Horizonte. Wenn man sich also sinken läßt in den Rhythmus und dem schabenden Geräusch des Didjeridoo lauscht, entsteht ein Gefühl von Ewigkeit, könnten Urängste und verschüttete Instinkte wieder erwachen. Und das nicht nur, weil man weiß, wie alt dieses Instrument ist.
„Real Estate“, das zweite Stück, ist dann aber ein überaus durchschnittlicher und zudem auch noch recht langweiliger Popsong. Strophe, Refrain, Strophe, etc. Dazwischen pfeift das Didjeridoo, aber kommt über die Prostituierten-Rolle nicht hinaus. Und weiter reihen sich ruhige, stimmige Instrumentals in schöner Wechselseitigkeit an überflüssiges und in rauhen Mengen bereits vorhandenes Radiomaterial.
Die eine Art, mit Volksmusiken und -instrumenten fremder Kulturen umzugehen, muß nicht besser oder schlechter sein als die andere, aber wo bei Frill Neck die Stärke liegt, ist unüberhörbar. In den ganz dem Didjeridoo gewidmeten Instrumentals vermeiden sie sogar souverän die böseste Falle, die solcher Musik droht. Im Gegensatz zu vieler New-Age-Musik verkommt das beschauliche, ruhige Warten auf den nächsten Ton nicht zur Beschallungsmusik, die auch im Supermarkt an der Käsetheke einsetzbar wäre. Statt dessen schaffen es Matthew McGrath und Stewart Dunlop, die Töne so versetzt zu plazieren, so viele Öffnungen und Löcher zu lassen, daß die Spannung nie abreißt. Und erreichen, daß diese Musik zum Hören ist, daß sie für sich selbst stehen kann und nicht nur nebenherläuft und den Soundtrack für anderes abgibt. Thomas Winkler
Frill Neck, S.U.T.A. Music, in ausgesuchten Läden oder über Mailorder direkt bei S.U.T.A. Music, Görlitzer Ufer 1, 1-36
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