Village Voice: Haarscharf am weißen Rauschen
■ „030 feat. Dr. Motte“: Ki und Wieland Samolak: Steady State Music
Die drei Herren haben Erfahrung mit der Vermischung. Paul Browse und Johnny Klimek durften als System 01 das Gerede von Timothy Leary zu Tanzmusik verarbeiten. Bei Dr. Motte ist es die Chemie, die aus Housemusik den gewissen Euphorhythmus holt. Unter der Projektbeschreibung „030 feat. Dr. Motte“ bleibt der Acid-Sound auch weiterhin Science-Fiction- und San-Francisco-fixiert: Alles ist Spirit, zerfließt, wenn man es pixelt, oder fügt sich am Ende einer Klangspirale fast schon poppig wieder zusammen. Anders jedenfalls als bei den strikt körperbetonten Techno-Tracks soll die selbstverlustierende Massensause hier dem zwanglosen Therapie-Trip weichen.
Das Individuum steht zur Disposition, auch wenn nach einer Stunde Spielzeit noch immer nicht ganz klar ist, wie denn eigentlich das Ich in die Maschine kommen soll. Nur einmal wird das Cyberspace-Spielchen bis zum Ende durchgehalten. Im Titelstück „Ki (Ich bin)“ erzählt ein elektrischer Generator, daß Er ist, wo bislang Ich sein sollte. Die Idee geht jedoch auf ein Mittsiebziger-Kraftwerk-Zitat zurück.
Ansonsten liefern 030 vorrangig das mentale Rüstzeug zum Chill-out. In der versprochenen Dreieinigkeit von „Denker, Gedanke und Ding“ oder der von „Liebe, Stärke und Wissen“ können sich zumindest Lem- und Ballard-Leser ebenso wiederfinden wie Reich- und Platon-Schüler. Entsprechend korrekt sind auch die Textmodelle: Bei „lift up your faces“ wird vom „native american“ bis zum „gay“ jeder angesprochen, und „so called artists“ enttarnt die böse Deutsch-Lehrerin. Musikalisch gesprochen paßt also wieder einmal alles zueinander, man kann Reggae dubben, Frankfurter Disco-Trax verschneiden, und „I want more“ für Simones Party-Zone auf MTV maßschneidern. Nur an einem Stück haben 030 doch etwas zu trance-tütig getüftelt: „Chill Out in Europe“ echolotet, gurrt und flötet in direktem Kontakt zum Paradies, dafür aber auch gleich eine knappe Viertelstunde. Die Zeit kann einem dabei ganz schön lang werden.
Wieland Samolak hat es noch weniger eilig. Für ihn ist Musik grundsätzlich ein Prozeß des Ausdauerns – Maschinenmusik im Antheilschen Sinne, perpetuierendes Geräusch. Soundtechnisch haarscharf am weißen Rauschen vorbei ist der beschleunigte Stillstand im LP-Titel dialektisch als „Steady State Music“ gefaßt. Wer will, mag sich darunter eine formalisiert vorbeibrausende E-Lok vorstellen, oder eine Bohrmaschine, die vom Nebenhaus hechelnd allmählich durch die Wohnzimmerwand eindringt. Oder die späte Rückkehr des Karl-Heinz Stockhausen samt Ringmodulator im Gepäck.
Bis zum Höhepunkt brauchen Samolaks imaginäre Schnellzüge und Black & Decker durchweg fast zehn Minuten. Dabei verändert sich jedoch endlich einmal nicht das Bewußtsein, sondern die Wahrnehmung. Denn die programmierte Langsamkeit funktioniert über die gesamte Plattenlänge als Ausdruck und Verfahren zugleich. Dazu Samolak selbst: „Durch diese Erfahrung kam mir zu Bewußtsein, daß es für mich sehr viel befriedigender war, den ständigen Veränderungen innerhalb eines Klangs zuzuhören, als der Kombination von zaghaften akustischen Ereignissen, wie man sie gewöhnlich in der Musik findet.“ Das Understatement des Klangforschers ist ernst gemeint, bei Samolak fallen jegliche Klangfarben, Harmonien oder gar Melodien weg. Doch der Minimalismus trügt: Hinter der trägen Monotonie verbirgt sich eine aberwitzige Dichte von winzigen Frequenzverschiebungen. Die Platte bleibt fraktales Stückwerk, das jenseits von Trance- und Dance-Appeal seine Moebius-Schleifchen dreht. Man kann die unbeschleunigten Teilchen aber auch austricksen, indem man mit der Fast-forward-Taste am CD-Player die Aufnahmen im Schnelldurchlauf remixt – dann entsteht ein 27 Sekunden kurzes Windjammern. Bei Warhol-Filmen spult allerdings auch niemand vor. Harald Fricke
030 feat. Dr. Motte: Ki (MfS)
Wieland Samolak: Steady State Music (Imbalance Recordings)
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