Village Voice: Ein Huhn bekommt den Blues
■ Uh-lala-König Thomas Koppelberg – wohnhaft in SO 36 – macht eine erste Platte – für „Mütterken“ Anneliese in Essen
Es gibt Männer, die haben einen Bart, weil sie ihn schick finden. Andere haben einen Bart, weil sie zu faul zum Rasieren sind, weil es schade um die Zeit wäre, in der könnte man ja noch ein Bierchen trinken oder einen kleinen Persiko. Zum Warmwerden. Ganz anderen wiederum wächst gar kein Bart, jedenfalls kein richtiger, aber die sind trotzdem zu faul. Das wird dann nichts. Nicht in diesem Leben.
Hinten in der Ecke von der Kneipe, wo man auf solche Gedanken verfällt und sich ganz sicher ist, daß sie Wert sind, gedacht zu werden, singt dann vielleicht Koppelberg. Gestatten? Thomas Koppelberg mein Name, Uh-lala- König von Beruf oder eigentlich Schauspieler, zuletzt unterwegs und die Rasierseife verdient mit Francois-Villon-Soloprogrammen. Wohnhaft nicht in Kreuzberg, nein, in SO 36, da legen wir Wert drauf.
Geboren ward Koppelberg aber in Essen, wo immer noch sein „Mütterken“ Anneliese zu Hause ist, der nun diese erste CD des Sohnemanns gewidmet ist. Ein herzerweichendes Bild von Anneliese im schlichten Plastikgeblümten, schätzungsweise aus den späten Sechzigern, schmückt das Booklet, und mit „Mitten in der Nacht“ hat er ihr noch ein Denkmal gesetzt.
Über einem verschämten Hawaii-Gitarrenimitat nuschelt er was von der „kleinen, dicken Putzfrau“, die seine Mutter ist und die er gesehen hat, als sie in „einer klaren Vollmondnacht“ ohne Besen oder Flügel ihre Kreise durch den Himmel zog. So was können wohl nur Söhne verstehen. Aber ob Mutti Anneliese wohl einverstanden wäre, daß ihr Sohn einem offensiven Pennertum huldigt? Sein „Wat'n Glück, daß ich keine Arbeit kenn'!“ ist schon legendär, in „Die Leiche in meinem Keller“ geht er noch weiter: „Bei Vollmond sauf' ich, weil ich ständig sauf' (...) Der Vollmond schmeisst mit Licht nur so um sich/ So seh' ich wenigstens die Ecken, in die piss'.“
Auch wenn einen jetzt die Frage umtreibt, ob man Koppelberg schon mal höchstpersönlich in der U-Bahn zwei Mark für Platte oder motz in die Hand gedrückt hat – das ist eigentlich unerheblich. Der Mann ist zwar sicherlich Trinker, aber halt auch Schauspieler, und als solcher fähig, sich in Rollen zu versetzen, fähig zu Abstraktion, Übertreibung und Reimzwang.
Die Frage nach der Authentizität, die sich automatisch stellt, wenn einer so den Kaputten mimt (oder eben vielleicht auch nicht) hebt sich durch seine Stimme wie von selbst auf. So, als würde Helge Schneider versuchen, Tom Waits zu kopieren. Kann man sich das vorstellen? Oder vielleicht: Ein Huhn bekommt den Blues.
Man muß es wohl hören, dieses Näseln, dieses Gackern, die Undeutlichkeit durch die Nase, am Kloß im Hals vorbei, das Verschlucken von Silben, Verschmieren von Wortenden. Es ist nicht echt, soll es auch nicht sein, soviel wird klar, aber das stört gar nicht.
Es nimmt einem den Voyeur- Vorwurf von den Schultern, läßt einen die Betroffenheit wegschmunzeln, und die Sozialkritik, die hier sicherlich auch gemeint ist, hat plötzlich nicht mehr die unsägliche Aura, die schon das Wort Sozialkritik ausstrahlt. Aber es geht auch anders bei Koppelberg. So reimt sich „Die Poesie der Nacht sitzt mir hinten in der Wohnung auf'm Klo“ ganz selbstverständlich auf „Oho“. Und Liebe ist eben auch: „Ich spül' für dich, wenn auch nicht gut genug für dich/ Ich werd vegetarisch mit Frikadelle heimlich.“
Und daß er weiß, was er da tut, gibt er gern im letzten Stück der Platte zu: „Ich werd Euch schnulzig' Liedlein singen, das Röslein zu Euch Arschloch bringen/ Ich werd Euch in die Ohren reimen, hin bis in den Magen schleimen.“
Das Spiel mit den Rollen, die aber auch nicht allzuweit entfernt sein dürfen von Annelieses Sohn, funktioniert, solange genug Distanz da ist. Völlig aus dem Rahmen fallen nur die beiden Texte von Villon, die Koppelberg meinte, vertonen zu müssen. Mal abgesehen davon, daß sie musikalisch die schwächsten Stücke auf der CD sind, paßt die Sprache einfach nicht zu seinem eigenen lakonischen Ausdruck. Und sein Tonfall bleibt viel zu respektvoll rezitativ.
Ansonsten hätte das eine oder andere zusätzliche Instrument gar nicht geschadet. „Mitten in der Nacht“, auf dem ein dezent aahender Chor eingesetzt wird, ist nicht zuletzt deswegen das schönste. Aber für das nächste Jahr, für die nächste Platte, das ist angekündigt, soll eine Band engagiert werden. Aber soll man Kreuzberger Pub-Rock wollen? Denk an Pannach & Kunert, Obacht Koppelberg! Thomas Winkler
Koppelberg: „Koppelberg“, Eiermann Records. Zu bestellen über: Bureau für Nichts & soweiter, Sandstraße 9, 64319 Pfungstadt, Telefon: 06157/ 910201, Fax: 06157/910202
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen