Village Voice: Frisch aus dem Napf gespuckt
■ Ehrbare Rockschaffe, diesmal kreuzüber veredelt: Mr. Ed Jumps The Gun und X.I.D
Popmusik folgt oft denselben Regeln, nach denen Fernsehserien, Filme oder auch die Angebote von Fast-food-Ketten funktionieren: Einmal erfolgreich befriedigte Bedürfnisse wollen möglichst häufig und ohne Änderung von Hör-, Seh- oder Eßgewohnheiten wiederholt werden. Da Mr. Ed Jumps The Gun mit ihrem ersten Album „Boom Boom“ erstaunlicherweise viel Anklang fanden, in den Charts und, noch wertvoller, sogar in Bravo landeten, gab es auch keinen Anlaß für sie, nur einen Millimeter vom einmal gefundenen Sound abzurücken.
Auf dem Nachfolger „Heehaw“ findet sich das bekannte Kreuzüber aus Rap, Metal, Rock und Punk, das uns nicht erst mit Mr. Ed als ein Teil des alternativen Rock bis zum Überdruß entgegenschallt; Musik, die schon üble Beschimpfung aushalten mußte und eigentlich längst ihre Grab geschaufelt bekommen haben sollte. Nicht so in Berlin, wo „Crossover“ überaus beliebt ist, wo man es gleichermaßen gerne hört und spielt: Ausverkaufte Konzerte von Madonna HipHop Massaker oder Bindemittel sprechen da beredt-traurige Bände.
Daß Mr. Ed sogar überregional beliebt sind, mag an ihrem offensiv zur Schau gestellten Humor (?) liegen; und daran, daß sie es nicht dumm vermitteln, einen Hauch von Ironie in ein verpöntes Genre zu pusten. Etwas ältlich sehen sie ja beim genaueren Hinsehen aus, doch geschickt geben und stylen sie sich wie junge, zappelige Raver, die den im Rockzirkus ansässigen Säcken ordentlich den Arsch versohlen wollen.
Das kommt wohl ganz gut an, gerade bei der Jugend: Gab es auf dem Debut „Wild Thang“ und AC/DCs „TNT“ in nicht ganz astreinen, frisch aus dem Napf gespuckten Ed-Versionen, hat man sich diesmal mit „Don't Ha Ha“ und „Hush“ an zwei netten Gassenhauern aus den schwingenden Sixties vergriffen, die flott und frisch nach vorn gespielt werden. Zumeist aber, wie gesagt, schwermetallert und schwitzrockt es, sind die „bekannten Riffs aus dem Rocklexikon“ nicht mehr als das und sollten schnellstens zurück in die Mottenkiste. Da helfen auch Hochgeschwindigkeitsraps nicht. Und wo Lust und Fake regieren sollen, da schleichen Verbissenheit und Krampf um die Jungs und ihre Songs herum, da meint man Stirnfalten, Venensterne und Pilsbäuche erkennen zu können: Daß sie dann von den Heerscharen anderer Crossoverbands nicht mehr zu unterscheiden sind, versteht sich von selbst.
X.I.D. haben es leichter, mit der üblichen „kreativen Weiterentwicklung“ wie auch mit der Darstellung nach außen. Von ihrem Debütalbum wollte niemand recht Notiz nehmen, obwohl immerhin der tip sie seinerzeit als „Band des Jahres 93“ lobhudelte. Allerdings weiß man sowas ja gut einzuschätzen, auch X.I.D., und so konnte die Band in Ruhe und ohne Höhenangst „Stralsund“ einspielen. Stralsund? Wo Mitte (Thorsten Becker) und Posen (Die Sterne) mittlerweile doppeldeutigen Eingang in Literatur und Pop gefunden haben, ist es jetzt Stralsund, das, wie uns das Info der Ethymologie verpflichtet aufklärt, zusammengesetzt ist aus den Worten Pfeil/Meeresenge. Ein schönes Bild, wie die Band findet, „weil die Platte ja auch ihre Ecken und Kanten hat“.
Nun gut, das sei genehmigt, obwohl die Songs eher klapprig und spinngliedrig klingen, irgendwie ungenau, der eigenen Legitimation nicht ganz gewiß. Meist verfremden X.I.D. ihre ehrbare Rockschaffe mit Samplern und Programmierern: Das klingt nun interessant und geheimnisvoll, erinnert an Bands wie Bailter Space und Girls Against Boys. Richtig schlimm wird es nur, wenn Sänger Stephan Hachtmann, nach anfänglichen Verzerrungen, im Lauf der CD-Spielzeit ganz in den dunklen Weiten eines Simon Bonney verschwindet; dann wird es trotz des Mehrwerts an Blues doch arg zappenduster im Soundsystem von X.I.D. Gerrit Bartels
Mr. Ed Jumps The Gun: „Heehaw“ (EMI)
X.I.D.: „Stralsund“ (Our Choice/ Rough Trade)
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