Village Voice: Aaahhh dazugelernt
■ Auf ihrem zweiten Album drechseln Wahre Schule nicht nur kunstvollere Lyrics ...
Ob nun Freundeskreis oder Hausmarke, Spectacoolär oder Thomas D., 5 Sterne De Luxe oder Cappuccino – HipHop aus Deutschland ist groß in den Charts, und die früher wichtigen Fragen nach Zugangsberechtigungen, nach dem Wie und Warum stellt sich schon lange keiner mehr. Alle haben Erfolg und hören sich gleich an, alle rappen ihre Liebeslieder, und alle haben ihren Spaß, und streiten mag man sich untereinander auch schon lange nicht mehr.
„Ist das das Ende vom Lied?“ fragt und rappt dagegen die Berliner HipHop-Gruppe Wahre Schule, auch wenn sie mit ihrem zweiten Album, „Versbrecher“, nicht unbedingt die Antwort parat hat. Höchstens die, daß man sich selbst nicht auf eine Stufe mit dem Neuen Deutschen Sprechgesang stellen möchte. Doch darum, einfache und totale Wahrheiten zu verbreiten, ging es Wahre Schule schon auf ihrem Debüt, „Im falschen Geruch von Ghetto hier?“, nicht: Fragen stellen hieß die Devise, Identitätskonstruktionen und Multikulti-Idyllen kritisieren, die „Popgeschichte der Häuserwände und Demos“ in Erinnerung rufen. Nicht um Stil, sondern ums „Spiel“ ging es ihnen, um „HipHop als städtische Geschichte“. Doch so situationistisch, linksradikal und diskursfähig ihre Lyrics waren, sowenig mochte man sich seinerzeit mit ihren alles andere als feschen Beats anfreunden.
Für „Versbrecher“ haben sich Wahre Schule nun den Hamburger Großproduzenten Mathias Arfmann (früher bei den Kastrierten Philosophen) ins Studio geholt, und prompt sind ihre Beats und Sounds dichter, dunkler und dubbiger geworden. Da machen sie sich zwar gleich im Titelstück lustig über den „Rhythmus, zu dem ich mitmuß“, rappen „ponp, ponp, ponp, aaahhh“ und fragen sich, ob „agit prop platt gesagt glatter flop“ sein muß. Doch der hübsche gesingleierte Backgroundchor mit seinem „Every day just the same“ löst diese Zweifel immer wieder in Pop und Schönheit auf und klingt, als hätten die Wahren Schüler Nachhilfeunterricht bei den amerikanischen Bone 'n' Thugs 'n' Harmony genommen. (Auch wenn's wohl nur ein Neville- Brothers-Sample ist.)
„Die Revolution muß wieder anfangen zu grooven, zu tanzen, funky zu werden“ hat ein Wahrer Schüler in Spex zu Protokoll gegeben, und so, wie es Wahre Schule nichts mehr ausmacht, gut zu klingen, erinnert ihre Entwicklung an die der Hamburger HipHop-Gruppe Absolute Beginner: Die hatte sich ebenfalls von Arfmann fetteren Beats und besseren Samples um ihre Raps schneiden lassen und frühere, explizit politische Songs wie „Freiheit befreien“ und „Dies ist nicht Amerika“ mit dem Hinweis, Politik müsse wieder funky sein, als plakative Jugendsünden abgetan. Das allerdings machen Wahre Schule nicht. Die fragende Dringlichkeit ihrer Reime (so man die denn auf dem Debüt noch als „Agit-Prop“ mißverstanden hat) sind auf „Versbrecher“ einfach kunstvoller gedrechselt.
Und selbst wenn der dauernde Konjunktiv in „Wenn ich stumm wäre“ die genervte Gegenfrage („Was wäre denn dann, Wahre Schule?“) provozieren mag, muß man den Berlinern allein für ihren Freundeskreis-Diss auf dem Cover und in dem Stück „Mundgold“ einen goldenen Zopf flechten: Die Ohren allein auf die Schienen der Geschichte zu legen reicht eben nicht immer, man sollte da schon auch was Gescheites hören. Für eine Revolution in den Charts wird „Versbrecher“ zwar nicht sorgen, da können Wahre Schule sich musikalisch noch so viel Mühe geben. Doch wer nicht immer mit dem ganzen obengenannten Einerleirap gehen möchte, ist hier einmal mehr besser als gut aufgehoben. Gerrit Bartels
Wahre Schule: „Versbrecher“ (What so funny about/Indigo). Showcase am 9.5., Akademie der Künste am Pariser Platz 4
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen