■ Vier Wochen vor der Wahl: Ein offenes Rennen
Der Regierende Bürgermeister Diepgen liegt in der Wählergunst weit vor allen Konkurrenten, die CDU mit sicherem Polster von über zehn Prozent vor der SPD, und in einer Stern-Umfrage stufen zwei Drittel aller Befragten Eberhard Diepgen als „charmant“ ein. Also alles schon gelaufen? Wohl kaum. Denn diese eindrucksvollen Berechnungen gleichen zwar den aktuellen Zahlen, sie stammen aber vom Januar 1989. Und da kam es am Wahlabend zum Absturz: Die CDU verlor zehn Prozent und Diepgen sein Amt.
Der Schock von damals steckt immer noch tief in den Knochen der christdemokratischen Wahlkampfmanager, auch wenn die Prognosen derzeit ähnlich rosig sind wie damals. Bei der CDU macht sich Nervosität breit. Der Regierende Bürgermeister findet nach einer Forsa-Umfrage zwar bei 51 Prozent der WählerInnen Zustimmung, doch die CDU als Partei kommt bei Forsa und Infas nur auf 38 Prozent. Ein Plus zwar vor der SPD, die auf knapp dreißig Prozent abgesackt ist, doch fällt der Vorsprung angesichts der desolaten Verfassung der Sozialdemokraten viel zu mager aus.
Zusammen mit den Grünen, denen gegenwärtig fünfzehn Prozent der WählerInnen die Stimme geben würden, käme eine rot- grüne Koalition immer noch auf fünfundvierzig Prozent. Die CDU dagegen kann voraussichtlich auf keinen anderen Partner zählen – die FDP liegt bei aussichtslosen drei Prozent. Bleiben die Liberalen außen vor, dann reichen Rot-Grün möglicherweise schon 47 Prozent für eine Mehrheit der Sitze. Drei oder vier Prozent mehr für eine SPD, die sich in den nächsten Wochen noch berappeln kann – und die CDU sieht blaß aus.
Kein Wunder also, daß vier Wochen vor dem Urnengang der Wahlkampf zwar nicht heißer, dafür aber härter wird. Der CDU- Generalsekretär Ernst geißelt in den Medien eine „unselige Generalprobe für die Linksfront“. Anlaß: SPD, Grüne und PDS mißbilligten letzten Donnerstag im Parlament gemeinsam Innensenator Heckelmanns Versagen im Fall Mykonos und waren vereint auch gegen dröhnende Rennmotoren auf der Avus. Die Morgenpost sieht gar schon „das Modell Sachsen-Anhalt“ grüßen. Der Regierende Bürgermeister Diepgen läßt auf Großplakaten verkünden: „Wer rot-grün wählt, riskiert die Kommunisten“.
Gebuhlt wird um die Stimmen der Unentschlossenen und um jene, die zwar CDU wählen würden, aber zu Hause bleiben, wenn es am Wahlsonntag regnet. Die WählerInnen dürfen sich deshalb noch auf etliche rüde Holzereien einstellen. Wer glaubt, vier Wochen vor der Abstimmung sei die Wahl schon gelaufen, kann sich am 22. Oktober schwer getäuscht haben. Gerd Nowakowski
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