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Vier Tote für einen befreiten ReporterEin hoher Preis für die Freiheit

Der entführte Reporter Stephen Farrell ist wieder frei, doch vier Menschen starben bei der Militäroperation. Jetzt hagelt es Kritik an dem Nato-Einsatz.

Nicht das erste Mal entführt gewesen: Afghanistanreporter Stephen Farrell. Bild: dpa

KABUL/NEW YORK taz/afp | Ein britisches Einsatzkommando hat den in Afghanistan entführten Journalisten der New York Times offenbar trotz gut laufender Verhandlungen über eine Freilassung gewaltsam befreit. Bei dem Einsatz in der Nacht zum Mittwoch waren vier Menschen getötet worden: der Übersetzer des befreiten Briten Stephen Farrell, Sultan Munadi, ein britischer Soldat sowie eine afghanische Frau und ein Kind.

Obwohl mit den Taliban über ein Lösegeld verhandelt worden sei, habe der britische Geheimdienst ohne Kenntnis der Lage vor Ort die Befreiungsaktion beschlossen, schrieb die britische Zeitung The Guardian.

Der Vorsitzende des afghanischen Verbands unabhängiger Journalisten, Nakibullah Taib, kritisierte, dass die afghanischen Mitarbeiter der ausländischen Reporter nicht wie diese auf solche Einsätze vorbereitet würden. Er forderte gleiche Trainingsmaßnahmen für ausländische und afghanische Kollegen.

Kritik wurde auch daran laut, dass die Briten die Leiche des afghanischen Übersetzers und Reporters einfach zurückließen. Seine Familie habe die von Kugeln durchsiebte Leiche später unter großer Gefahr ohne jegliche Hilfe selbst bergen müssen, verlautete aus dem Umfeld der Familie. Der 34-jährige Munadi, Vater von zwei Kindern, hatte in Deutschland Politikwissenschaften studiert. In den Semesterferien arbeitete er als Journalist und Übersetzer in Afghanistan.

"Ich bin draußen, ich bin frei!" waren Farells aufgeregten Worte, als er sich per Telefon bei seiner Chefin bei der New York Times meldete. Der irisch-britische Staatsbürger war am 5. September 2009 während eines Aufenthalts in Afghanistan mit seinem Dolmetscher entführt worden. Dies hielten die Medien geheim, um die Sicherheit der beiden Männer nicht zu gefährden.

Der 46-jährige Journalist ist verheiratet und berichtet seit vielen Jahren aus den Kriegsgebieten im Mittleren Osten. Bevor er im Juli 2007 bei der New York Times als Afghanistankorrespondent anfing, schrieb er für die britische Times aus dem Irak und Südasien. Farrell ist außerdem Chefblogger für den "At War Blog" der New York Times.

Kurz vor seiner Entführung befand sich Farrell zusammen mit seinem afghanischen Kollegen und Dolmetscher Sultan M. Munadi in der nordafghanischen Provinz Kundus. Hier wollte er wütende Dorfbewohner interviewen, die den umstrittenen Luftangriff der Nato auf zwei von Taliban entführte Tanklastwagen am vergangenen Freitag überlebt hatten. Dabei wurden sie von Taliban-Kämpfern überfallen und entführt.

Farrell selbst verteidigte die Entscheidung, trotz Warnungen am Samstag den Ort der bombardierten Tanklastwagen aufgesucht zu haben. Er habe dies mit Munadi und dem Fahrer besprochen und beide hätten sich dazu bereit erklärt, schrieb er in der New York Times. In den vier Tagen ihrer Entführung seien sie von den Taliban gut behandelt worden, berichtete Farrell.

Der Journalist und Afghanistankenner Stephen Grey bewundert Farrell für dessen unerschrockenen Einsatz in Kriegsgebieten in der britischen Zeitung Telegraph: "Er ist ein Mensch der Sorte, die begriffen hat, dass man die Bequemlichkeit verlassen muss, um zur Wahrheit zu gelangen."

Für Farrell war es nicht die erste Entführung. Er war bereits im April 2004 in der Nähe von Bagdad gekidnappt worden. Damals habe ihn ein Dorfältester wegen seines für Soldaten typischen kahlen Kopfs als Spion beschuldigt, berichtete Farrell damals in der Londoner Times.

Mithilfe eines alten Fotos, das ihn mit lockigen Haaren zeigte, konnte der Reporter damals den Stammesältesten und die Entführer davon überzeugen, dass er kein Feind war. "Sehen Sie, kein Soldat. Nur Haarausfall", rettete sich Farrell aus der ernsten Situation. So einfach verlief es diesmal nicht.

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4 Kommentare

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  • A
    aso

    @ Erich:

    Wenn die Taliban merken, daß die Allianz nicht erpressbar ist, hat das „Entführungsgeschäft“ seinen Nutzen verloren.

     

    Wäre Hellmut Schmidt damals auf die Forderungen der Mogdischu-Entführer eingegangen, wären unzählige weitere Entführungen die Folge gewesen.

     

    Daß Schleyer Opfer wurde ist zwar tragisch, sein Tod verhinderte so den Tod vieler, die weitere Opfer bei Entführungen geworden wären. Think big...

  • E
    Erich

    @aso: Die Entführer wird der Tod eines Übersetzers, eines britischen Soldaten, einer Frau und eines Kindes nicht arg betroffen machen.

  • H
    Henry

    Das ist sehr gefährlich.

     

    In der Wahrnehmung der Einheimischen muss es sich ja jetzt so darstellen, dass das Leben EINES Westlers mindestens so viel wert ist, wie das Leben DREIER Einheimischer, inclusive Frau und Kind.

     

    Das ist kein Signal zur Völkerverständigung.

  • A
    aso

    „...Ein britisches Einsatzkommando hat den in Afghanistan entführten Journalisten der New York Times offenbar trotz gut laufender Verhandlungen über eine Freilassung gewaltsam befreit...“:

     

    Soll wohl heißen, man wollte sich nur noch über die Summe einigen...Würde man grundsätzlich Befreiungsaktionen vor Lösegeldzahlungen bevorzugen, gäbe es bald keine Entführungen mehr...