piwik no script img

Viele Leute können sich vorstellen, in ihrem Leben nochmal etwas ganz anderes zu machen. Nur was?Im Eismeer

Foto: privat

AM RAND

Klaus Irler

Dieser Sommer weiß nicht, ob er ein Sommer sein will. Für ein paar Stunden ist er da, dann ist er wieder weg. Ich möchte das nicht vertiefen, aber ich denke: Ein Sommer wie dieser ist der Grund, warum es in Hagenbecks Tierpark das Eismeer gibt. Dort ist der Sommer gleichbleibend kühl und trocken und statt einer wankelmütigen Sonne gibt es konstantes Neonlicht, parallel zum tiefen Blau der Aquarien.

Das Eismeer ist ein Indoor-Rundgang, der unter dem Ensemble liegt, in dem die Pinguine, Walrosse, und Eisbären gehalten werden. Dort kann man die Tiere durch Scheiben aus einer Unterwasser-Perspektive sehen. An der Wand hängen Infotafeln zu Arktis und Antarktis. In einer Ecke steht ein ausrangierter Motorschlitten, der dazu einlädt, sich daraufzusetzen.

Die Kinder lieben diesen Motorschlitten und ich mag ihn auch. Er erinnert mich an den Film „Nord“, in dem ein aus der Bahn geworfener Ex-Skiprofi sich auf den Weg durch die Schneelandschaften Norwegens macht, um seinen vierjährigen Sohn zu suchen, von dessen Existenz er gerade erst erfahren hatte. Die Reise macht er per Motorschlitten.

Der Motorschlitten im Eismeer erinnert mich immer an den Satz: „Ich könnte mir vorstellen, nochmal etwas ganz anderes zu machen.“ Viele Menschen, die ich kenne, haben das schon einmal gesagt. In letzter Zeit habe ich es nicht mehr so häufig gehört, weil die Leute wissen, dass sofort die Gegenfrage kommen würde, was sie denn anderes machen wollen würden. Und darauf hätten sie keine Antwort.

Ich habe auch keine Antwort, aber der Motorschlitten ist eine Fährte. Ich stelle es mir cool vor, einen Job zu haben, bei dem ein Motorschlitten eine Rolle spielt. Wobei ich nicht irgendeinen Motorschlitten meine. Ich meine den in Hagenbecks Eismeer, weil er alt und robust ist. Er ist ein Arbeitsgerät, das nach norwegischer Einöde aussieht. In einem österreichischen Schicki-Micki-Skigebiet würde er nie zum Einsatz kommen, und das macht ihn so sympathisch.

Nur, welche Jobs haben Motorschlittenfahrer? Der Protagonist in dem Film „Nord“ arbeitet an einem norwegischen Skilift, sein Job ist es, den Skifahrern den Bügel unter den Hintern zu klemmen. Mehr Abwechslung hätte man sicher als Postbote, der mit dem Motorschlitten über Land fährt. Vermutlich müsste man bei jeder Briefübergabe einen Schnaps trinken und hätte die Wahl zwischen Alkoholproblem oder unzufriedener Kundschaft. Letztere würde der Karriere sicher schaden.

Wobei: Das Bezaubernde an einem Motorschlitten-Job in Norwegen wäre, dass er ohne das Karriereding auskäme. Ich glaube nicht, dass die Fahrer abends im Internet hängen und davon träumen, in einem österreichischen Skigebiet mit einem High-Tech-Schlitten Skikanonen zu verteilen. Aber vielleicht täusche ich mich. Wenn der Sommer vorbei ist, fahre ich hin und finde es heraus. Ganz bestimmt.

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen