: Vibratoren fair gehandelt
Ihren ersten Sexshop besuchte Stefanie Reichel schon im Bauch ihrer Mutter. Jetzt führt sie in Neuss ein Fachgeschäft für Handschellen und Lustkugeln
AUS NEUSS LUTZ DEBUS
„Auch bei den Katholiken wachsen die Kinder ja nicht auf den Bäumen“, sagt Stefanie Reichel. Morgens um zehn Uhr steht sie mit der Kaffeetasse vor der Tür, die Nachbarn und Passanten grüßen. In den ersten Monaten haben manche hinter ihrem Rücken gelästert. Aber dann sprach die Vermieterin des Ladenlokals ein Machtwort: „Die Frau Reichel ist lieb und nett. Da wird nicht gemeckert.“
Mittags rennen die Schulkinder kichernd mit ihren Tornistern am Schaufenster vorbei. Rein getraut hat sich aber noch keiner. Die Mutigsten fassen allenfalls mal die Türklinke an. Weil zu den Kundinnen der Knisterkiste auch Mütter mit Kinderwagen gehören, macht Frau Reichel bei ganz kleinen Besuchern ihres Ladens schon mal eine Ausnahme. Ansonsten gelte der Jugendschutz: Zutritt erst mit 18.
Auf der rechten Seite der kleinen Allee kommt erst der Raumausstatter, dann der Bäcker und der Imbiss, am Ende der Ladenzeile liegt der Frisör und schließlich Reichels Knisterkiste – seit einem Jahr hat auch das konservative erzkatholische Neuss einen Erotikladen für Frauen.
Mittlerweile kommt auch der Postbote gern auf ein Schwätzchen herein: „Zieh doch mal die hohen Stiefel aus dem Schaufenster an,“ witzelte der Beamte. Und, hat sie es gemacht? „Falsche Schuhgröße, falscher Briefträger.“ Die Antworten von Stefanie Reichel sind bisweilen knapp geschnitten.
Begonnen hat alles laut Firmenauskunft 1976. Eine hochschwangere zwanzigjährige Frau betrat damals neugierig einen Erotikladen in Köln. Dieses pränatale Erlebnis Stefanie Reichels soll ihre weitere Karriere geprägt haben. Die Erotik-Kundin von einst unterstützt heute tatkräftig die Geschäftsidee ihrer 28-jährigen Tochter.
Nach der Realschule machte Stefanie Reichel zunächst eine Lehre zur Hotelfachfrau. Mit 22 war sie bereits Abteilungsleiterin einer bekannten Hotelkette. Doch der Job war ihr zu stressig. Dann arbeitetete sie ein paar Jahre in der Verwaltung einer Firma. Der Schreibtisch war ihr auf Dauer jedoch zu langweilig. „Ich hab‘ eine Zeit lang getuppert. Dann entdeckte ich eine Firma, die Frauen für Dessous- und Toypartys suchte.“ Wie jeder Elektrikerlehrling vom eigenen Betrieb träume, so habe sie von ihrem eigenen Laden geträumt: „Die Zahlen sind noch nicht sooo schwarz,“ gibt Stefanie Reichel zu. Gewinne ihrer Ich-AG stecke sie hauptsächlich in neue Ware.
Der vordere Teil des Ladens sieht aus wie ein Geschäft für Damenwäsche. Viele Kundinnen lockt sie mit diesem Angebot in die Knisterkiste. „So einen guten E-Cup-BH bekomme ich nirgends woanders für 25 Euro“, sagt eine Dame mittleren Alters und verlässt zufrieden das Geschäft.
Das beliebteste aller Produkte in der Knisterkiste ist aber der Vibrator. Mit viel Fachkompetenz erklärt Stefanie Reichel die Unterschiede. Sie lässt auch schon mal eine Kundin an einem billigen Gerät schnuppern. Die glibbrig-grüne Banane riecht tatsächlich extrem nach Lösungsmittel. „So etwas kann doch nicht gesund sein!“– es spricht die ehemalige Tupper-Beraterin.
Doch ihr Sortiment umfasst mehr als Unterwäsche und Massagegeräte. Öle zum Abküssen und Ablecken stehen in Naturholzschränken aufgereiht. Die Video- und DVD-Ecke ist dafür eher bescheiden bestückt. Groß ist dafür die Auswahl an Liebeskugeln. In den hohlen Kugeln befinden sich kleinere Kugeln, die bei Bewegung an die Innenseite der großen Kugeln schlagen. Laut Beipackzettel, den Stefanie Reichel sachlich referiert, wird so die Innenseite der Vagina stimuliert. Die Kugeln beugen auch Inkontinenz vor und helfen bei der Rückbildung nach einer Schwangerschaft. „Viele Frauen beschäftigen sich mit ihrer Beckenbodenmuskulatur leider erst nach der Geburt ihres ersten Kindes.“ Eine Hebamme habe in der vergangenen Woche gleich mehrere dieser „Smart-Balls“ gekauft.
Neben dem Regal mit den Kugeln hängt eine Pappe, auf der verschieden starke und -farbige Seilproben angebracht sind, fast wie im Baumarkt. „Das sieht ästhetisch aus, wenn jemand kunstvoll gefesselt ist.“ In Ausdruck, Mimik und Gestik eigentlich noch immer ganz Hotelfachfrau, berichtet Stefanie Reichel von ihren Bondage-Workshops. Über eine Kundin sei sie zu dem Thema Sado-Masochismus (SM) gekommen. „Handschellen gehen weg wie Sau, muss ich immer da haben.“ Aber sei das schon Sado-Masochismus? Die, die die Handschellen kaufen, würden diese Frage verneinen. Insgesamt, so ihre Einschätzung, gehen die Menschen bei SM sehr respektvoll miteinander um. Die Grenze des anderen werde penibel beachtet. Da erlebe sie im Alltag mehr Respektlosigkeit, und dann zeigt sie ihr Peitschensortiment.
Eine Peitsche für 180 Euro hat ein Kugellager, so dass die Lederfransen sich beim Schwingen nicht verheddern. Mit einem Dreh klinkt sie einen anderen Vorsatz auf den Handgriff, eine Reitgerte. Auf dem abgeflachten Ende der Gerte steht „Made in Sweden“. Manche Frau zeige den klar lesbaren Abdruck auf ihrem Po noch einen Tag später in der Sauna vor.
Zu den Kundinnen gehören auch Frauen, die als Dominas arbeiten. Oft sind sie in Zeitnot, viel Beratungsbedarf hätten sie nicht. Dafür hört Stefanie Reichel von ihnen ausgefallenere Wünsche: „Haben Sie Zangen?“ Im Moment suche sie deshalb nach einer Bezugsquelle für den „ganzen Arztpraxenkram“.
Dienstags und donnerstags ist Frauentag. Wie in der geschlechtergetrennten Sauna bleiben Frauen unter sich – an den anderen Tagen dürfen auch Männer in die Knisterkiste.
Viele männliche Besucher klagen dann ihr Leid: „Zu Hause passiert nichts mehr.“ Ein Kunde habe sich deshalb zum Kauf eines Vibrators entschlossen. Die Ehefrau reagierte empört: „Dann kann ich ja gleich in den Puff gehen!“
Viele Männer, so Reichel, fallen mit der Tür ins Haus. Als der leidgeplagte Kunde den Apparat umtauschen wollte, gab sie ihm Massageöl mit. Die Badewanne solle er einlassen, wenn seine Frau müde von der Arbeit komme. Kerzen anzünden. Und nichts erwarten. Stolz sagt Stefanie Reichel: „Vielleicht habe ich schon so manche Ehe gerettet.“
Auch Männer, die Frauenkleidung tragen, lassen sich beraten. Welche Strumpfgröße ist die richtige. Passt dazu eher ein String oder ein Slip? Stefanie Reichel sind diese Kunden angenehm. „Die sind froh, mit mir offen reden zu können, sich nicht verstecken zu müssen.“ Aber es gebe auch andere Männer.
Mancher Rentner komme morgens ins Geschäft, lasse sich detailliert das ganze Warensortiment erklären. „Die wollen sich an dem gesprochenen Wort aufgeilen.“ Eigentlich verwendet Stefanie Reichel auch Wörter wie Ficken, Bumsen und Vögeln. Doch bei bestimmten Kunden spreche sie absichtlich antiseptisches Hochdeutsch. Dann gehen diese recht schnell wieder.
Die Knisterkiste ist eingerichtet wie ein Bioladen. Hinter der Ladentheke lächelt die Inhaberin und Hotelfachfrau als ob sie Gäste an der Rezeption eines 4-Sterne-Hauses begrüßt. Und den Kundinnen macht es Spaß: „Eine Nachbarin wollte mir erzählen, dass Sex nicht wichtig ist – die ist doch bekloppt.“