Vetternwirtschaft in Polen: Parteienfilz, Skandale und Korruption
Der neue Landwirtschaftsminister Stanislaw Kalemba verdankt sein Amt Vetternwirtschaft in der Bauernpartei. Er soll gegen genau diese Missstände vorgehen.
![](https://taz.de/picture/200136/14/12080707-tusk_rtr.jpg)
WARSCHAU taz | Ein Minister, der seinen Posten der Vetternwirtschaft in der eigenen Partei verdankt, die er nun bekämpfen soll – so etwas kann es nur in Polen geben, sagen die Polen. Stanislaw Kalemba (64), der neue Landwirtschaftsminister ist nur „Minister auf Probe“, sagt wiederum Premier Donald Tusk und vermeidet es, dem gerade vereidigten Minister aus der Bauernpartei die Hand zu geben.
Als Kalemba vor der Presse die Karriere seines Sohnes in einer Landwirtschaftsagentur zu loben beginnt, die der neue Minister nun mit hartem Besen auskehren soll, führt ihn der Chef der Bauernpartei Waldemar Pawlak mit sanftem Druck in ein Hinterzimmer. So sagt der Minister erst einmal nichts.
Vetternwirtschaft, Korruption und Filz sind ein Problem, mit dem bislang keine Regierung Polens klar kam. Zwar hatte 2005 die rechtsnationale Regierung unter Jaroslaw Kaczynski mit dem Slogan „Recht und Gerechtigkeit“ der Korruption den Kampf angesagt, doch war sie dann selbst mit den Koalitionspartnern – der nationalistischen Liga der polnischen Familien und der radikalen Bauernpartei „Samoobrona“ – in einen peinlichen Sex- und Korruptionsskandal verwickelt. Zuvor war bereits die Regierung aus dem linken Lager unter Leszek Miller an Korruptionsskandalen gescheitert.
Als Donald Tusk mit seiner liberal-konservativen Bürgerplattform 2007 die vorgezogenen Wahlen gewann, wusste er, dass Filz und Vetternwirtschaft auch in seiner Regierung zum Problem werden könnten. Zumal der Koalitionspartner – die liberale Bauernpartei – eine reine Klientelpartei ist. Als ein erster Korruptionsfall hochkochte, die Glücksspielaffäre, entließ Tusk sofort alle betroffenen Minister und kündigte hartes Durchgreifen an. Das rettete ihm den Kopf. Im Jahr 2011 wählten die Polen erneut die PO und PSL.
Kritik an Regierungschef Donald Tusk
Doch die „Band-Affäre“, die ihren Namen einem heimlich mitgeschnittenen Gespräch zwischen Funktionären der Bauernpartei verdankt, wirft auch auf Tusk ein schlechtes Licht. „Er muss von dieser riesigen Vetternwirtschaft unter den PSLern gewusst haben“, werfen ihm Kritiker vor. „Warum hat er nicht eher eingegriffen?“
Allerdings beginnen auch erst jetzt die Medien Polens mit genaueren Recherchen. Plötzlich jagen sich die „Filz“-Skandale, was aber bei den Polen keine große Aufregung hervorruft. Vor allem interessiert der Megaskandal im Landwirtschaftsministerium: Wie viele hoch dotierte Pöstchen haben der Exlandwirtschaftsminister Marek Sawicki, seine Stellvertreter, Abteilungsleiter und landwirtschaftlichen Agenturchefs an PSL-Bauernfunktionäre vergeben?
Sawickis Nachfolger Kalemba gilt seit seinem Protest gegen den EU-Beitritt Polens 2004 nicht nur als EU-Gegner, sondern hat sich sein ganzes Leben lang ausschließlich in PSL-Kreisen bewegt.
Er soll nun nicht nur das Landwirtschaftsbudget in der EU mitverhandeln, sondern auch Filz und Korruption in den eigenen Reihen bekämpfen. Kein Wunder, dass sein Parteichef ihn schon bei seiner ersten öffentlichen Rede unterbrach. Der Herbst könnte heiß werden für die Koalitionsregierung Polens.
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