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Vetternwirtschaft am Ende?

■ 15 Monate Haft wegen Meineides für ehemaligen Umweltsenator Vetter und früheren Tiergartener Bezirksbürgermeister Wurche vom Staatsanwalt beantragt

Vetternwirtschaft am Ende?

15 Monate Haft wegen Meineides für ehemaligen Umweltsenator Vetter und früheren Tiergartener Bezirksbürgermeister Wurche vom Staatsanwalt beantragt

Im Prozeß gegen den ehemaligen Umweltsenator Horst Vetter (FDP) und den früheren Tiergartener Bezirksbürgermeister Gottfried Wurche (SPD) vor dem Berliner Landgericht plädierte die Staatsanwaltschaft am Montag auf Bewährungsstrafen von jeweils 15 Monaten Haft wegen Meineides und versuchter Strafvereitelung. Wegen „der Schwere der Schuld“ wurde außerdem eine Geldbuße von je 10.000 Mark, zu zahlen an die Landeskasse, beantragt. Die Verteidigung hat Freispruch gefordert, zumal die wesentlichen Punkte der Anklage widerlegt worden seien.

Die aufwendige Beweisaufnahme, bei der unter zahlreichen Politikern auch Berlins Regierender Bürgermeister Eberhard Diepgen vernommen wurde, hat demgegenüber nach Auffassung der Staatsanwaltschaft „keinerlei Zweifel an der Schuld der Angeklagten“ erbracht. Demnach haben Vetter und Wurche 1986 im Bestechungsprozeß gegen den ehemaligen Wilmersdorfer Baustadtrat Jörg Herrmann (CDU) unter Eid falsch ausgesagt.

Es ging dabei um Zahlungen des wegen seiner Gesundheit nicht vernehmungsfähigen Bauunternehmers Kurt Franke. Nach Überzeugung von Oberstaatsanwalt Bernd Wolke hat „das wichtigste Indiz des Verfahrens“, der Franke-Kalender aus dem Jahr 1984, ergeben, daß Wurche und Vetter jeweils 50.000 Mark erhalten haben. Wurche hatte Zahlungen völlig bestritten. Vetter hatte von einer einmaligen Zuwendung über 10.000 Mark gesprochen, die er an die Bundes-FDP abgeführt hatte.

Der seit Februar dauernde Prozeß hat allerdings nach Wolkes Worten keine eindeutigen Erkenntnisse zum Motiv der Angeklagten erbracht. Möglicherweise habe Vetter befürchtet, in seinem politischen Wirkungskreis eingeschränkt zu werden. In diesem Zusammenhang habe der Zeuge Klaus Riebschläger (SPD) erklärt, man habe ihn „in den Gefrierschrank gestellt“, nachdem Zahlungen an ihn bekannt geworden seien.

Von der Verteidigerbank betonte der FDP -Bundestagsabgeordnete Wolfgang Lüder als Vetters Anwalt, sein Mandant habe keinerlei Anlaß gehabt, im Herrmann-Prozeß die Unwahrheit zu sagen. Er hätte damit im Alter von 60 Jahren seine Altersversorgung riskiert, nur um jemandem zu nutzen, dem er lediglich manchmal dienstlich begegnet sei. Die Franke-Kladde sei, so Lüder, kein objektives Beweismittel. Wie der Prozeß gezeigt habe, seien mehr als 50 Prozent der Eintragungen falsch gewesen. Soweit Vetter von Franke in dessen Vernehmungen vor der Staatsanwaltschaft belastet worden sei, sei das in der Untersuchungshaft unter Einfluß von Valium passiert.

Das Urteil soll in dieser Woche verkündet werden.

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