piwik no script img

Versorgungslage in Gaza"Wir leben von Schmuggelware"

Die brüchige Waffenruhe zwischen Israel und den Palästinensern hat das Leben im Gazastreifen nicht erleichtert. Der Schwarzhandel aus Ägypten blüht notgedrungen.

Palästinensische Kinder in Gaza vor Säcken mit Hilfslieferungen der UN. Bild: ap

GAZA taz Die Adresse von Adeeb Jussef Zarouq gehört zu den besseren in Gaza. Der 45jährige Elektriker wohnt zentral an einer der belebtesten Straßen in der Stadt, die direkt zum Meer führt. Doch Adeeb geht schon seit Monaten kaum noch aus dem Haus. "Jede noch so kurze Autofahrt kostet Geld", sagt er. "Wir haben nichts mehr, nur Schulden."

Die meisten Autofahrer, egal ob sie ein Taxi haben oder einen privaten PKW, lassen es sich mit umgerechnet ein paar Cent bezahlen, wenn sie jemanden ein Stück mitnehmen. Seit Israel die Öllieferungen drastisch einschränkt, steigen die Preise. Die Führung der Hamas kontrolliert die Verteilung mit Hilfe von Coupons. Taxifahrer können 40 Liter Diesel wöchentlich zu normalen Raten tanken. Wer mehr braucht, muss sich auf dem Schwarzmarkt versorgen, wo er ein Vielfaches zahlt. "Wir leben von Schmuggelware", erklärt Abeed. Durch die nach Ägypten führenden Tunnel wird praktisch alles geliefert: lebende Tiere, Büchsenfleisch, Kleidung, Benzin, ganze Motorräder und Waffen.

Trotz der seit zwei Monaten anhaltenden Waffenruhe beschränkt Israel die regulären Warenlieferungen auf Obst, wenige Milchprodukte, Öl, Reis und Zucker, alles in so geringem Umfang, dass die Produkte weit überteuert gehandelt werden. Als Mitte der Woche doch wieder eine Rakete auf Israel abgeschossen wurde, ging sofort das Gerücht, es sei ein Händler gewesen, der die Preise für seine Ware hochtreiben wollte, indem er Israel dazu provoziert, die Lieferungen wieder einzustellen.

Adeebs Frau entschuldigt sich, als sie den stark nach Kardamon riechenden Kaffee in dünne Plastikbecher gießt. Richtige Gläser besitzt sie nicht mehr. Fast 30 Jahre lang gehörte die Familie zum palästinensischen Mittelstand. Adeeb hatte als Elektriker in Israel ein gutes Einkommen, konnte sich problemlos die Miete von 150 Dollar für seine Drei-Zimmer-Wohnung leisten und seine acht Kinder ernähren.

"Linsen", sagt er auf die Frage, was auf dem Speiseplan der Familie steht. Die gab es gestern schon. Ganze 20 Schekel (vier Euro) würde ein Paar Plastiksandalen für Adeebs 11jährigen Jungen kosten. Er deutet seinem Sohn, die alten Schuhe zu holen. Seit der Riemen gerissen ist, geht der Junge barfuß. Der finanzielle Einbruch kam, als Israel im Sommer 2005 die jüdischen Siedler aus dem Gazastreifen holte und kurz darauf den Arbeitern die Einreisegenehmigungen entzog. Tausende Palästinenser, die ihren Lebensunterhalt bei den Israelis verdienten, blieben ohne Einnahmen.

Die Zarouqs hatten immerhin noch das Gehalt des ältesten Sohnes Amjad, der als Polizist im Dienst der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) monatlich 1.500 Schekel (rund 300 Euro) nach Hause brachte, bis Hamas die Wahlen gewann und der internationale Boykott die Gelder und damit die Gehaltszahlungen für die PA-Angestellten stoppte. Erst seit der Machtübernahme der Hamas im Gazastreifen und der Regierungsneubildung im Westjordanland bezieht Amjad wieder ein Gehalt, ohne dafür zu arbeiten. Die PA zahlt weit über 50.000 Angestellten ihren monatlichen Lebensunterhalt, obwohl sie zur Untätigkeit gezwungen sind. Der Sicherheitsdienst ist längst in der Hand der Islamisten. Nach und nach übernehmen Anhänger der Hamas auch die anderen Posten in Verwaltungen, Krankenhäusern und im Erziehungsbereich.

Die der Fatah nahestehende Gruppe lebt von der PA, die Islamisten von den zumeist aus dem Iran an die Hamas-Führung fließenden Spenden. Der Rest muss mit den regelmäßigen Nahrungsmittelspenden der UNRWA, der UN-Organisation für palästinensische Flüchtlinge, zurechtkommen. "Die Hamas ist noch viel korrupter als die Fatah", schimpft Adeeb. Sein Schwager, der im Sicherheitsdienst der islamistischen Herrscher arbeitet, "kriegt nicht nur ein ordentliches Gehalt, sondern alle zwei Wochen große Geschenkpakete".

Die Kluft zwischen dem vom Westen finanzierten Westjordanland und dem Gazastreifen vertieft sich. Immer brutaler bauen beide Seiten ihre Macht aus, unterdrücken Demonstrationen, verhaften und foltern politische Gegner. Wenn es nach Adeeb ginge, "sollten die israelischen Soldaten mit der Hamas aufräumen" und den Gazastreifen wieder besetzen. "Ich würde sogar die israelische Flagge auf meinem Haus hissen und das nicht, weil ich Israel so sehr mag, sondern weil ich wieder arbeiten könnte." 18.000 Dollar Schulden haben sich angesammelt, Mietverzug und offene Rechnungen beim Supermarkt. "Früher", sagt Abeed verzweifelt, "hat niemand an meine Tür geklopft, um Geld zu kassieren".

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!