: Verschlossene Welt
Die Mennoniten und ihr Leben: Rudy Wiebes „Wie Pappeln im Wind“
Wohin sie auch gingen, in die Ebenen der Ukraine oder in den Dschungel von Paraguay: Ihre Sprache nahmen sie immer mit. Die Mennoniten, die aus der spätmittelalterlichen Wiedertäuferbewegung hervorgingen, haben ihren Namen von ihrem ersten Führer, dem friesischen Prediger Menno Simons. Das altertümliche Plattdeutsch, das viele von ihnen noch heute sprechen, bezeugt auch nach Jahrhunderten der Wanderung noch ihren norddeutschen Ursprung.
In Deutschland verfolgt, wanderten viele Mennoniten im 19. Jahrhundert nach Kanada aus. Der Schriftsteller Rudy Wiebe, Jahrgang 1934, gehört zu einer Generation verweltlichter kanadischer Mennoniten, die der Sprache der Vorfahren noch mächtig ist. In seinem Roman „Wie Pappeln im Wind“, der bereits 1972 im englischen Original erschien, erzählt Wiebe die Geschichte(n) der Mennoniten im 20. Jahrhundert und stützt sich dabei hauptsächlich auf mündliche und schriftliche Zeugnisse von Menschen, die er in einer mennonitischen Kolonie in Paraguay traf. Eine Frau namens Frieda Friesen ist seine Hauptgewährsperson. Ihre Aufzeichnungen strukturieren den episodisch konzipierten Roman chronologisch.
Frieda, 1883 geboren, wandert mit Mann und Kindern nach Paraguay aus, als die kanadische Regierung während des Ersten Weltkriegs die Unabhängigkeit der mennonitischen Schulen aufhebt. Von den zwölf Kindern überleben drei die Reise nicht. Der Dschungel ist eine lebensfeindliche Welt, der die Siedler ihre Ernte mühsam abpressen müssen, geplagt von Krankheiten und gefährdet durch Soldaten, die nahe der Kolonie Scharmützel mit dem Nachbarland Bolivien ausfechten. In den folgenden Jahren halten die „Russländer“ Einzug, Mennoniten, die, von Katharina der Großen in der Ukraine angesiedelt, nun vor den Kommunisten fliehen und in Lateinamerika ihre eigenen Kolonien gründen. In den Augen der fundamentalistischen, bibeltreuen Kanadaflüchtlinge leben jedoch die Neuankömmlinge, die ungeniert weltliche Lieder singen und die Erde für eine Kugel halten, allzu „tief im Irrtum“, als dass man mit ihnen Kontakt haben dürfte. So bleibt jeder für sich.
Auch auf den Seiten des Romans bleiben die Handlungsstränge sauber getrennt. Welten scheinen zu liegen zwischen Friedas Leben und dem jener entfernt verwandten anderen Friesens, die im Zuge der Kollektivierung sämtlichen Besitz in der Ukraine verlieren. Der Sohn gerät in die Fänge der Geheimpolizei, der Vater ins Arbeitslager. Anderen Schicksalen begegnen wir: dem charismatischen David Epp, der sich für die Zurückgebliebenen opfert. Der kleinen Elisabeth Driediger, die später in Kanada als Wissenschaftlerin Karriere machen wird. Und vielen anderen, die man häufig erst einordnen kann, nachdem man das Personenverzeichnis konsultiert hat. Es ist eine Lektüre, die erarbeitet werden will. Doch dafür führt sie ein in eine fremde Welt, die sich Außenstehenden sonst verschließt. Das Allerheiligste allerdings bleibt unangetastet. So viel man auch erfährt über Leben, Arbeiten, Reisen und Sterben der Mennoniten – über ihre Religion oder auch nur ihre religiösen Bräuche schweigt der Roman sich aus, wodurch sich im Herzen der Erzählung eine seltsame Leere auftut.
Erst zum Schluss, als alle Handlungsstränge in einem kanadischen Straßengraben zusammenlaufen, wagt Wiebe sich heran an die R-Frage. Doch die Peace-Symbolik, die ihm dazu einfällt, hinterlässt lediglich einen unpassend süßlichen Nachgeschmack von metaphysischem Kitsch. Die Leerstelle bleibt. KATHARINA GRANZIN
Rudy Wiebe: „Wie Pappeln im Wind“. Roman. Aus dem kanadischen Englisch von Joachim Utz. Eichborn, Frankfurt/M. 2004, 22,90 Euro