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Archiv-Artikel

Vers- und Kaderschmiede präsentiert das großteils vergessene Werk Veza Canettis Zu kurz gekommen

Gleich mit zwei Veranstaltungen widmet sich im Oktober Thomas Ebermanns „Vers- und Kaderschmiede“ der lange vergessenen Schriftstellerin Veza Canetti, der Ehefrau des österreichischen Literatur-Nobelpreisträgers Elias Canetti. Erst 1990 wurden die Erzählungen und Romane von Veza Canetti – die großteils in den 30er und 40er Jahren entstanden sind und im Wiener Stadtteil Leopoldstadt spielen – neu entdeckt und inzwischen in fünf Banden veröffentlicht.

In Vergessenheit geraten waren diese Werke aus mindestens zwei Gründen: zum einen war da die Verfemungspolitik der Nazis. In Deutschland wurden Geschichten Veza Canettis nach der Machtübernahme durch die Nazis 1933 verbrannt. Als 1934 in Österreich der so genannte Austro-Faschismus die Macht übernahm, wurde es für die Jüdin und Sozialistin fast unmöglich zu veröffentlichen, denn fast alle Zeitungen und Verlage, für die sie bisher gearbeitet hatte, wurden verboten.

Kurz bevor auch in Wien die Synagogen brannten, floh Veza Canetti dann 1938 mit ihrem Mann nach London. Und obwohl sie auch dort weiter schrieb, gelang es ihr nicht, ihre Geschichten zu veröffentlichen. Als auch nach dem Krieg ihr Roman Die Gelbe Straße bei den Verlagen ungelesen liegen blieb, soll sie in einem Anfall von Schwermut einen großen Teil ihrer Manuskripte vernichtet haben. Immer stärker ordnete sie sich in den Folgejahren der Arbeit ihres Mannes unter. 1963, drei Jahre nachdem Elias Canetti Masse und Macht veröffentlicht hatte, starb seine Frau.

Doch dass ihr schriftstellerisches Wirken nach dem Krieg in Vergessenheit geriet, wird seit einigen Jahren vor allem ihrem Ehemann angelastet. Zwar erwähnt er sie in seinen Vorworten und sagt, dass sie ebenso an seinen Werken beteiligt war wie er selbst. Aber nicht einmal in den beiden Bänden seiner 1977 und 1980 veröffentlichten Autobiografie erwähnt er die schriftstellerische Arbeit seiner ersten Frau. Und nicht ihm, sondern Helmut Göbel ist es zu verdanken, dass 1990 der Band Die gelbe Straße erscheinen konnte.

Göbel berichtet, dass Elias Canetti lediglich auf einen solchen „Anstoß von außen gewartet habe, weil er selbst seine zunehmende Bekanntheit nicht zum Anlass nehmen wollte, die literarischen Arbeiten seiner ersten Frau ins öffentliche Gespräch zu bringen“. Doch ganz kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass Elias Canetti die literarische Arbeit seiner Frau bewusst verschwieg.

Inzwischen gilt Veza Canetti als bedeutende Vertreterin der österreichischen Exilliteratur; etliche Literaturkritiker betrachten sie als begabter und stilgewaltiger als ihren Ehemann. In der Tat sind ihre Erzählungen und Geschichten äußerst pointiert. Nüchtern und distanziert beschreibt sie Grausamkeiten und Demütigungen. Ein Happy End kennen ihre Erzählungen ebenso wenig wie ihr eigenes Leben. Denn Veza Cantetti wuchs zwar in wohlhabenden Verhältnissen auf, aber der Stiefvater prügelte Mutter und Tochter. Diese Erfahrungen scheinen es zu sein, die Veza Canetti in ihren Texten über die Leiden misshandelter Frauen verarbeitet. Und vermutlich liegen hier auch die Gründe dafür, dass sie vor allem von den zu kurz Gekommenen erzählt.

Im Polittbüro werden Michael Weber, Annette Uhlen, Rolf Becker und die aus dem Film Gegen die Wand bekannte Catrin Striebeck Veza Canetti und ihr Werk als szenische Lesung präsentieren. Dirk Seifert

Mo, 11. 10., 20 Uhr, Polittbüro (Steindamm 45): „Veza Canetti: Über ihr Scheitern – aus ihrem Werk“.Mo, 25. 10., 20 Uhr, Polittbüro: „Die Schildkröten“.