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Verquere Sicht der Justiz

■ betr.: "Keine Gnade für Hungerstreikenden", taz vom 7.8.90

betr.: „Keine Gnade für Hungerstreikenden“, taz vom 7.8.90

Die deutsche Justiz hat sich mit der Kriminalisierung des friedlichen Protests gegen die Vorbereitung und Planung von Massenmord mit Chemie- und Atomwaffen blamiert. Statt den Rechtsanspruch auf Leben zu sichern, gibt sich die Justiz dazu her, eine menschenverachtende Politik zu stützen.

Dazu bedurfte es der abwegigen Konstruktion, gewaltfreie Sitzblockaden als gewalttätig zu definieren und die Motivation auszuklammern, um die Verwerflichkeit behaupten zu können, damit der Nötigungsparagraph als Knüppel benutzt werden kann. Analog müßte die Tötung in einer Notwehrsituation als Mord verfolgt werden, wenn die Motivation außer Betracht bleibt.

Zu dieser verqueren Sicht der Justiz paßt die Äußerung des Generalstaatsanwalts in Koblenz, Dr. Hans-Joachim Ulrich, wenn er sagt, der Hungerstreik sei eine Protesthandlung, mit der Düllmann die Justiz zwingen wolle nachzugeben, ein Gnadenerweis sei „dem Ansehen der Justiz abträglich“. Das schwer geschädigte Ansehen der Justiz kann nur verbessert werden, wenn endlich das Unrecht beseitigt wird, das man Michael Düllmann und anderen antut.

Die Unaufrichtigkeit des Generalstaatsanwalts Ulrich wird offensichtlich, wenn er sagt, die Motive von Düllmann spielten keine Rolle, sie seien bereits bei der Urteilsfindung abschließend berücksichtigt worden. Um Düllmann kriminalisieren zu können, mußte gerade die Motivation außer acht bleiben, denn den Protest gegen geplanten Massenmord kann man schlecht als verwerflich darstellen. Mit dem Festhalten an der Haft von Michael Düllmann verstrickt sich die Justiz in immer größeres Unrecht.

Günter Höhn, Köln (BRD)

Sehr geehrter Herr Düllmann, Ihrer mutigen, kompromißlosen Haltung gebührt mein vollster Respekt und ehrlich empfundene Hochachtung. Um es nicht nur bei einer verbalen Solidaritätsadresse bewenden zu lassen, habe ich mich entschlossen, mit Ablauf des heutigen Sabbath Ihre beispielhafte Aktion durch ein ebenfalls unbefristetes Solidaritätsfasten zu unterstützen.

Ich weiß aus eigener Erfahrung, wie aufreibend und nervenzehrend ein länger andauernder Hungerstreik ist, nachdem ich den ganzen Monat Nissan hindurch die Annahme von Gefängniskost verweigert habe, weil ich hier keines unserer Speisegesetze befolgen kann und mir sogar das Pessachpaket verwehrt worden ist.

Ich hoffe, daß Sie der Gedanke, daß Sie sogar im fernen Bayern ein Kollege unterstützt, aufrichtet und Ihnen Kraft zum weiteren Durchhalten gibt.

Hanns Kupfer-König,

JVA Amberg (BRD)

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