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Verlust von Ideologie

■ Deutsches Schauspielhaus: Anselm Weber versucht in seiner Don Carlos-Inszenierung, jede Figur mit ihren maximalen Möglichkeiten zu deuten

Er sitzt nur da und brütet: Don Carlos, der spanische Thronfolger, auf den die unterdrückten flandrischen Provinzen ihre ganze Hoffnung gelenkt haben. Er ist in seine Stiefmutter verliebt, die eigentlich er haben sollte, und die dann sein Vater, König Philipp II., ehelichte.

Das ist einer der Aspekte von Don Carlos, Infant von Spanien, an dem Schiller von 1783 bis zu seinem Tod 1805 immer wieder schrieb. Aber eben nur einer.

„Dieses Stück kann heute nur funktionieren, wenn man es nicht auf ein Grundproblem hin ausleuchtet“, meint Regisseur Anselm Weber, der das als schwierig verschrieene Drama am Schauspielhaus inszeniert hat. „Wenn man es also nicht auf den Vater-Sohn-Konflikt, die unterdrückte Liebesgeschichte, das Thema der Männerfreundschaft oder den politischen Ansatz reduziert.“

Als schwierig gilt Don Carlos wohl nicht nur wegen der Themenfülle, sondern auch wegen der Ansprüche, die hier an jede Rolle gestellt werden: „Es bedarf in jeder Rolle einer ganz besonderen Besetzung“, erklärt der Regisseur, „jede der Figuren ist unverzichtbar. Es ohne die Eboli, Alba, Posa zu denken, ist fast unmöglich. Früher hatte man bei Inszenierungen einen berühmten Darsteller, und die anderen waren weniger wichtig. Das war der Fehler. Mir geht es darum, jede Figur in ihrer maximalen Möglichkeit zu deuten und zu besetzen.“

Nach der wegen Krankheit notwendigen Umbesetzung scheint ein adäquater Don Carlos gefunden: Sylvester Groth, nach Berlin und Wien entwichenes ehemaliges Schauspielhaus-Mitglied, konnte gewonnen werden und fühlt sich nach drei Wochen Probenzeit mit der vor 13 Jahren schon einmal von ihm gespielten Rolle wohl. Auch Peter Roggisch, der König Philipp gibt, spielte seine Rolle schon einmal: „Das war vor 17 Jahren, da war ich einer der jüngsten Philipps. Jetzt bin ich erst im richtigen Alter, wie Schiller es beschrieben hat.“

Überhaupt wünscht die Riege der Theatermacher sich das Stück dem sehr ähnlich, was Schiller geschrieben hat: Wenn die Hälfte des Textes gestrichen wurde, dann nur, weil Schillers 6000 Verse den Carlos sieben Stunden lang sein ließen. Ansonsten verspricht der Abend Ausgereiftes: den Mut zum Schillerschen Pathos, zur Schillerschen Intensität auf einem die komplizierte Struktur des Dramas verdeutlichenden abstrakten Bühnenbild. Und keine zwanghafte Aktualisierung. Wie sagte Dramaturg Wilfried Schulz sehr klug: „Wir können ja rings um uns herum einen Wandel im Politikbegriff wahrnehmen. Der Begriff der Intrige rückt in den Vordergrund, das persönliche Charisma. Der Verlust von Ideologie wird ersetzt durch Emotionalität.“ Aber: „Wir setzen vertrauensvoll voraus, daß das Publikum die eigene heutige Wirklichkeit mit assoziiert. Sie ist nicht in das Stück hineininszeniert.“

Thomas Plaichinger Premiere am 31. März im Schauspielhaus

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