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Verkehrte Welt bei Mannesmann–Betriebsräten

■ Betriebsratsmehrheit in den Röhrenwerken schürt Gerücht über Massenentlassungen / Gezieltes Manöver, um vom Belegschaftsabbau abzulenken? / Oppositionelle Betriebsräte warnen vor Panikmache und fordern Kampfmaßnahmen

Aus Duisburg Roland Grzelski

Wer in diesen Tagen mit Betriebsräten der Mannesmann–Röhrenwerke spricht, muß sein Weltbild überprüfen. Rechtssozialdemokratische Betriebsräte warnen vor Massenentlassungen, und linke oppositionelle Betriebsräte, die gemeinhin für die Anheizung des Klassenkampfes zuständig sind, argumentieren so, als wollten sie Ruhe im Betrieb schaffen. Doch der erste Eindruck täuscht. Es geht um den geplanten Personalabbau bei den Mannesmann– Röhrenwerken. 6.500 Beschäftigte, ein Viertel der Belegschaft, will der Mannesmann–Vorstand bis Ende 1987 von der Gehaltsliste streichen. Vorzeitige Pensionierungen und „freiwillige“ Aufhebungsverträge, mit Abfindungsprämien von bis zu 40.000 DM, sollen es möglich machen. Einigkeit bei Vorstand und Betriebsrat Vorstand und Betriebsratsmehrheit ziehen hier an einem Strang. Solange es nicht zu Entlassungen kommt, wollen die IG Metall–Betriebsräte gegen den Personalabbau nichts unternehmen. Helmut Kimpe, freigestellter Betriebsrat auf der Duisburger Hütte: „Der Arbeitgeber hat das Recht auf seiner Seite.“ Für die „konsequenten Gewerkschafter“, die in Duisburg sechs oppositionelle Betriebsräte stellen, ist das kein Grund zum Däumchendrehen. Klaus Richter, einer der sechs Oppositionellen: „Wir fordern betriebliche Kampfmaßnahmen gegen den Belegschaftsabbau.“ Doch seit dem Sommer wird die Kontroverse um den „sozial abgefederten“ Belegschaftsabbau zunehmend von Gerüchten um Massenentlassungen überlagert. Urheber der Gerüchte, so vermuten die oppositionellen Gewerkschafter, ist der Duisburger Betriebsratsvorsitzende Karl–Heinz Stommel. Mit den Entlassungsgerüchten, so meinen sie, solle vom Belegschaftsabbau abgelenkt werden. Klaus Richter: „Da wird erst eine Katastrophe an die Wand gemalt. Und wenn die dann nicht eintritt, kann der Betriebsrat das als Erfolg verbuchen.“ Erfolge sind für Betriebsräte zur Zeit wichtig, denn in einem halben Jahr sind Betriebsratswahlen. Für die These der „Konsequenten“, daß Massenentlassungen zur Zeit keine Gefahr sind, spricht vieles. Mit Entlassungen wäre dem Stahlkonzern wenig gedient. Nach den Vorschriften des Kündigungsschutzgesetzes müßte Mannesmann die Entlassungsopfer nach sozialen Kriterien auswählen. Jüngere, ledige Kollegen müßten daran glauben, von denen die besten Leistungen erwartet werden. Ältere Familienväter könnten ihren Arbeitsplatz dagegen behalten. Mannesmann–Vorstandssprecher Dr. von Plettenberg bestätigt, daß das Unternehmen kein Interesse an Entlassungen habe. Voraussetzung dafür sei allerdings, daß die vorzeitige Pensionierung von 2.200 Beschäftigten aus den Kassen der Bundesanstalt für Arbeit bezahlt wird und die Mannesmänner und -frauen in ausreichender Zahl Aufhebungsverträge unterzeichnen. Statt Entlassungen Selbstkündigungen Inzwischen haben 1.200 Beschäftigte der Röhrenwerke solche Selbstkündigungen unterschrieben. Maßgeblichen Anteil daran dürften Pressemeldungen haben, die die Entlassungsängste anheizten. „Mannesmann will über 3.000 Leute entlassen“, hieß es Mitte August in einem Artikel der WAZ. Als Informant betätigte sich der Duisburger Betriebsratsvorsitzende Karl–Heinz Stommel. Inzwischen steht jedoch fest, daß 3.000 Entlassungen nie zur Debatte standen. Klaus Killing, Konzernbetriebsrat, gibt jetzt zu: „Das war eine Falschmeldung.“ Ergebnis solcher Schreckensmeldungen: Allein auf der Duisburger Hütte unterschrieben in nerhalb von drei Tagen 120 Stahlwerker ihre eigene Kündigung, nach der Logik: Wenn sowieso entlassen wird, dann doch lieber 30.000 DM Abfindung kassieren. Während der drei Monate zuvor hatten ganze 180 Beschäftigte auf ihren Arbeitsplatz verzichtet. Für die Version der „Konsequenten“ spricht schließlich auch, daß Entlassungsgerüchte bei Mannesmann Tradition haben. Schon 1983/84 wurden sie gekonnt gegen türkische Kollegen eingesetzt. Den Türken wurden Abfindunden und Rückkehrprämien geboten. 1.000 Türken ergriffen die „Gelegenheit“. Doch als die Ausländer aus dem Betrieb waren, verschwand auch die Kurzarbeit, und von Entlassungen war fortan keine Rede mehr.

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