Verkehrspolitischer Rückschritt: Die vernachlässigten Schienen
Deutschland gibt pro Kopf deutlich weniger Geld für Erhalt und Ausbau seines Eisenbahnnetzes aus als andere Länder. Schwarz-Gelb bringt Stillstand, warnen Experten.
BERLIN taz | Deutschland gibt deutlich weniger Geld für die Schieneninfrastruktur aus als vergleichbare Länder - und die Verkehrspolitik der schwarz-gelben Koalition könnte diese Diskrepanz noch verschärfen. Darauf machte am Freitag die Allianz pro Schiene, eine Lobby-Organisation für den Eisenbahnverkehr, aufmerksam. Deutschland gehe einen nationalen Sonderweg und drohe, den internationalen Anschluss zu verpassen, warnte die Allianz.
Im vergangenen Jahr gab Deutschland laut der Allianz 47 Euro pro Einwohner für Erhalt und Ausbau des Schienennetzes aus - ein Rang am unteren Ende der Skala. Denn die Schweiz investierte 284 Euro pro Bürger, Österreich 205 Euro, Großbritannien 136 Euro, Spanien 84 Euro, Frankreich 80 Euro und Italien 60 Euro.
"Wir brauchen italienische Verhältnisse in Deutschland", fordert der Chef der Schienenallianz, Dirk Flege. Nötig seien jährlich mindestens fünf Milliarden Euro für die Schiene. Dies sei aber unter Schwarz-Gelb nicht zu erwarten. Der bisherige Entwurf des Koalitionsvertrages sei "bahnpolitisch ein Dokument des Stillstandes und verkehrspolitisch ein Rückschritt", so Flege. So solle es keine Maut für kleine Laster geben.
Allerdings sind die unterschiedlich hohen Investitionen der Staaten auch auf einen jeweils verschiedenen Bedarf zurückzuführen. So hatte Großbritannien im Zuge der Privatisierung jahrelang sein Schienennetz verkommen lassen - jetzt muss nachgeholt werden. Und in Spanien wird erst ein Hochgeschwindigkeitsnetz aufgebaut.
Unabhängig von unterschiedlichen Länderspezifika sieht Flege Deutschland mit seinen deutlich geringeren Schieneninvestitionen auf einem Sonderweg. Der Grund: "Die mächtige Autoindustrie sorgt hierzulande seit Jahrzehnten dafür, dass die Straßeninfrastruktur stets besser ausgestattet wird als die Schiene."
Auf den industriepolitischen Aspekt der Schienenförderung verwies der Bahntechnik-Experte der TU Berlin, Peter Mnich. China baue gerade mit großem Aufwand ein nationales Schienennetz auf, allein in diesem Jahr würden 59 Milliarden Euro investiert - wichtige Aufträge für die deutsche Bahn- und Maschinenbauindustrie. So seien derzeit in China allein hundert Tunnelbohrmaschinen aus Deutschland im Einsatz, die jeweils 20 bis 30 Millionen Euro kosten.
"Um auch in Zukunft lukrative Aufträge aus China zu erhalten, brauchen wir in Deutschland große Referenzprojekte." Dies könnten Hochgeschwindigkeitsstrecken von Berlin nach München, Warschau oder Dresden sein. Auch der Ausbau von Hafenhinterland und die Entwicklung der neuen ICE-Generation seien nötig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid