■ Verkehrspolitik mit zweierlei Maß: Wunsch und Wahrheit
Reden kann man viel. Und über nichts spricht der Senat so gerne, wie über den beabsichtigten Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs. Dieser Tage entpuppt sich aber erneut so manche Zusage als Seifenblase. Da wird die Verlängerung der U-Bahn-Linie 1 über die Oberbaumbrücke zum S-Bahnhof Warschauer Straße klammheimlich um anderthalb Jahre auf „frühestens“ Ende 1997 verschoben. Der Beschluß des Abgeordnetenhauses, bis Ende 1992 ein Planfeststellungsverfahren einzuleiten, wird von Verkehrssenator Herwig Haase (CDU) ignoriert. Dagegen muß für den Autoverkehr alles so schnell gehen, daß die Bauverwaltung bei der anstehenden Eröffnung des Gleimtunnels Vorschriften des Denkmalschutzes verletzt.
Aber auch bei der Bewertung des „politischen Preises“ des Nah- und Autoverkehrs mißt die Landesregierung mit zweierlei Maß. Die BVG soll wirtschaftlich arbeiten, die Landeszuschüsse werden um 250 Millionen Mark gekürzt. Wenn aber der BUND von der Verwaltung Unfallzahlen zum Radverkehr haben möchte, wird die Herausgabe verweigert. Mit der gleichen Methode behinderte das Haus Haase die Erarbeitung einer Sommersmog-Studie des Ökoinstituts: Daten, die die Verwaltung längst an andere Gutachterbüros weitergegeben hatte, wurden den Ökologen verwehrt. Hat der Verkehrssenator bei der Frage zum „politischen Preis“ des Autoverkehrs etwa Angst vor der Wahrheit?
Jetzt muß sich nur noch der Verkehrsausschuß des Abgeordnetenhauses überlegen, ob er in seiner Kontrollfunktion noch ernst genommen werden will. Wenn ja – dann muß Haase dafür zur Verantwortung gezogen werden, daß er sich nicht an den Beschluß zur U- 1-Verlängerung gehalten hat. Dirk Wildt
Siehe auch Bericht Seite 22
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