Verkehrsplanung in Hamburg: Parole getilgt
Städtisches Unternehmen überstreicht Protestspruch auf einer privaten Garagenrückseite. Anwohner wehren sich gegen Straßenverbindung über A 7-Deckel.
„Keine neue Hauptverkehrs-Trasse“ stand für vier Jahre in großen weißen Blockbuchstaben auf schwarzen Garagenrückseiten in der August-Kirch-Straße geschrieben. Wem die Vergangenheitsform auffällt: Tatsächlich ist der Slogan nicht mehr dort zu lesen. Gegen den Willen der Bewohner hat die Anstalt des öffentlichen Rechts „Fördern und Wohnen“ ihn übermalt.
Eigentlich baut und betreibt diese momentan eine Flüchtlingsunterkunft auf dem Grundstück nebenan. Weshalb sie die an die Baustelle angrenzenden Garagenwände ohne Rücksprache mit den Anwohnern überstrichen hat, ist unklar. „Im Dezember haben wir es bemerkt, vorher war die Garagenwand durch die Baustelle nicht einzusehen. Wir wissen nicht, wann es passiert ist“, sagt Christian Michalke, Anwohner und Verantwortlicher der Bürgerinitiative (BI) Volkspark. „Das war bestimmt politisch gewollt“, spekuliert er. „Bauleute streichen doch nicht aus Versehen eine fremde Garage.“
Das zweitgrößte Hamburger Bauvorhaben ist schon länger Kritik ausgesetzt. Rund 2.200 neue Wohnungen sollen im Bahrenfelder Westen gebaut werden. Um ihnen einen Anschluss an das Verkehrsnetz zu ermöglichen, muss eine Erschließungsstraße her.
Aus diesem Grund soll der Holstenkamp über den geplanten A 7-Deckel hinweg verlängert werden. Die künftige Route würde am Volkspark entlang führen und schließlich in die Notkestraße in Richtung Groß Flottbek münden. „Sie wird eine gewisse Entlastungswirkung für den hochbelasteten Straßenzug Bahrenfelder Chaussee/ Luruper Chaussee haben“, sagt Helma Krstanoski, Pressesprecherin der Verkehrsbehörde.
Ausbau: Die Autobahn A 7 soll um eine Spur verbreitert werden. Deshalb muss der Lärmschutz verbessert werden.
Idee: Statt einer Lärmschutzwand, die der Bund ohnehin bezahlen würde, legt die Stadt Geld drauf und baut drei Deckel über die Autobahn. Auf diese Weise werden die Stadtteile links und rechts der A 7 wieder miteinander verbunden.
Kosten: Der Deckel wird mit 550 Millionen Euro teurer als der Ausbau der 65 Kilometer langen Strecke vom Elbtunnel bis zum Bordesholmer Dreieck in Schleswig-Holstein mit 340 Millionen.
Finanzierung: Der Anteil der Stadt soll aufgebracht werden, indem über 500 heute in der Nähe der Autobahn angesiedelte Kleingärten auf den Deckel umziehen. Auf die frei werdenden 30 Hektar kommen Wohnungen.
Die BI Volkspark wehrt sich jedoch gegen den Bau der Trasse. Sie befürchtet, dass diese „Entlastungsstrecke“sich später als neue Hauptverkehrsader entpuppen könnte, auf die der Durchgangsverkehr auswiche, um der ständig überfüllten Stresemannstraße zu entgehen. „Der Volkspark und der Park auf dem A 7-Deckel wären starkem Lärm und einer hohen Feinstaubbelastung ausgesetzt“, kritisiert Michalke.
Krstanoski hält die Ergänzung des Straßennetzes ganz im Gegenteil für eine potentielle „Entlastung der Gesamtbelastungssituation“ und hält die neuen Straßenverbindungen für unbedingt erforderlich. Zudem werde in Zukunft möglicherweise die geplant neue U-Bahnlinie 5 eine Entlastung bringen sowie eine bessere Erschließung des Gebietes für Radfahrer.
Der BI-Vorsitzende Michalke bemängelt, dass die Stadt, das Verkehrsgutachten, das der Planung zu Grunde liegt, ohne Ausschreibung an das Straßenbauplanungsbüro SBI vergeben hat. Aus seiner Sicht werden die Möglichkeiten des öffentlichen Personennahverkehrs darin nicht stark genug berücksichtigt. „Die SBI konzentrieren sich natürlich nur auf Straßenbau und lassen den öffentlichen Nahverkehr außer Acht“, kritisiert er.
Wie Christian Michalke und seine Nachbarn mit Blick auf ihre überpinselte Garagenwand weiter vorgehen wollen, wissen sie noch nicht. Bevor sie sich für oder gegen eine Anzeige wegen Sachbeschädigung entscheiden, warten sie auf eine Stellungnahme von „Fördern und Wohnen“. Die hätten sich bisher jedoch noch nicht gerührt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Utøya-Attentäter vor Gericht
Breivik beantragt Entlassung
Umgang mit der AfD
Sollen wir AfD-Stimmen im Blatt wiedergeben?
Pistorius lässt Scholz den Vortritt
Der beschädigte Kandidat
Böllerverbot für Mensch und Tier
Verbände gegen KrachZischBumm
Warnung vor „bestimmten Quartieren“
Eine alarmistische Debatte in Berlin
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Scholz bezeichnet russischen Raketeneinsatz als „furchtbare Eskalation“