: Verkehr ist eine teure Krankheit
■ Studie: Tote und Verletzte auf den Straßen kosten Bremen jährlich 100 Millionen Mark
Das vergangene Wochenende war ganz normal: Bei Hannover gerät eine Autofahrerin auf die andere Fahrbahn: Beim Frontalzusammenstoß stirbt die Frau, der Fahrer des anderen Wagens wird schwer verletzt. Bei Helmstedt wird ein Mann von einem Auto getötet, als er die Autobahn überquert. Insgesamt sterben vier Menschen auf Niedersachsens Straßen. In Bremen setzt ein 19jähriger Fahrer seinen BMW bei einem Rennen gegen eine Straßenbahnhaltestelle und zieht sich Knochenbrüche zu. In Bremen-Nord rast ein betrunkener Autofahrer ohne Führerschein frontal gegen einen entgegenkommenden Wagen. Die Bilanz: Vier Schwerverletzte.
Verkehrsunfälle verursachen nicht nur Schmerzen und Leid, sondern kosten die Allgemeinheit auch eine Menge Geld. Unter dem Titel „Die Pathologie des KFZ-Verkehrs“ hat der Bremer Mediziner Johannes Spatz jetzt eine Studie über die gesamtgesellschaftlichen Kosten durch Verkehrsunfälle mit Personenschaden vorgelegt. Sein Ergebnis: „Auch wenn es einen großen Teil Zynismus enthält, ist es üblich, die volkswirtschaftlichen Kosten von im Straßenverkehr getöteten und verletzten Personen aufzurechnen. Sie allein beziffern sich 1994 für die Stadt Bremen auf mehr als 100 Millionen Mark.“
Für die Kalkulation des volkswirtschaftlichen Schadens durch Tote und Verletzte auf Bremens Straßen bezieht sich Spatz auf einen Aufsatz von Experten aus dem Bundesverkehrsministerium, der „Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen“ und dem „Verband der Schadenversicherer“ in der Januarausgabe der Zeitschrift „Straße und Autobahn“. In der zehnseitigen Expertise mit dem Titel „Kostensätze für die volkswirtschaftliche Bewertung von Straßenverkehrsunfällen – Preisstand 1995“ kommen die Autoren zu einem gestaffelten Kostensatz: Pro getötetem Menschen entstehen der Volkswirtschaft demnach Kosten von 1,6 Millionen Mark, pro Schwerverletztem 70.000, pro Leichtverletztem 7.000.
Die „konservativ geschätzten“ 100 Millionen Mark für Bremen errechnet Johannes Spatz anhand dieser Werte und den Zahlen der Unfallstatistik: 1994 starben auf Bremens Straßen demnach 32 Menschen (1993 waren es 18), 3.753 Menschen wurden verletzt (eine Zunahme von 10 Prozent). „Diese Statistik“, kritisiert Mediziner Spatz, „wird von Jahr zu Jahr aufgeschrieben, ohne daß analysiert wird, wie sie entsteht.“
Großen Wert legt Spatz auf die Feststellung, daß mit den errechneten 100 Millionen Mark Unfallkosten nur die direkten Opfer von Verkehrsunfällen erfaßt sind. In früheren Studien hatte der Mediziner nach dem Motto „Verkehr ist eine Krankheit“ errechnet, daß in Bremen mehr Menschen durch die indirekten Folgen der Blechlawine sterben – vor allem durch Krebs aus Dieselruß-Auspufftöpfen und Herzinfarkten durch permanente Lärmbelastung – als durch Verkehrsunfälle (die taz berichtete): „Zu den 32 Unfalltodesfällen des letzten Jahres kommen in Bremen noch 50 Krebstodesfälle durch die Schadstoffe des Verkehrs und 20 Todesfälle durch Herzinfarkt.“ Besonders gefährlich ist nach Ansicht von Spatz dabei die drastische Zunahme des Lkw-Verkehrs und die damit verbundene Erhöhung der Dieselruß-Emissionen. Gleichzeitig werde an den geplanten Grenzwerten für Dieselruß-Emissionen gedreht: Nicht Grenzwerte als solche würden verändert, sondern die Definition dessen, was vom gemessenen Dieselruß auch wirklich als Dieselruß einzustufen sei. Nach dieser Berechnungsmethode reduziere sich die in der Studie „Verkehr und Gesundheit“ gemessene Luftbelastung in der Neustadt von vier auf zwei Straßen, die über den zulässigen Werten liegen.
Dem Gesundheits- und Finanzrisiko Autoverkehr ist, so Spatz, durch den Vorrang des ÖPNV beizukommen: Eine „drastische Senkung der verunglückten Personen“ verspricht er sich von der Ausdehnung des öffentlichen Nahverkehrs auf Kosten der Autos: „So ist bezogen auf die zurückgelegten Personenkilometer das Risiko, bei einer Busfahrt getötet oder schwer verletzt zu werden, etwa 12-fach geringer als bei einer Fahrt mit dem Pkw. Bei einer Straßenbahnfahrt ist das tödliche Risiko sogar 33-fach geringer als bei einer Pkw-Fahrt.“
bpo
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen