■ Verkehr als Horrorszenario: Wandelbare Argumente
Linke Programmatik lebt zum Gutteil von der Katastrophe, von einer den Verhältnissen innewohnenden Dynamik, die sie zielstrebig nur schlechter werden läßt und an deren Ende wahlweise der GAU, das Chaos oder der absolute Zusammenbruch steht. Eines der beliebtesten Felder solch finaler Phantasien ist der Verkehr, dem allenthalben der Infarkt droht. Mit dieser medizinischen Methapher wird seit Jahren das Bild des totalen Stillstandes auf den Straßen an die Wand projiziert. Apologeten des Autoverkehrs haben diesen Trend schon seit längerem erkannt und unterlassen es tunlichst, den Untergangsszenarien eigene Visionen einer fahrbaren Zukunft entgegenzuhalten. Versierte Vertreter des Individualverkehrs machen sich vielmehr die Menetekel ihrer Gegner zu eigen. Sie legen vorsichtig einen Bypass, wo sie noch vor Jahren fröhlich und offenen Herzens eine Schneise in die Stadtlandschaft geschlagen hätten.
Ein Könner solch rethorischen Kreisverkehrs ist Verkehrssenator Herwig Haase, der sich neuerdings, um den Autoströmen Bahn zu brechen, sozialdemokratische Haltepositionen dienstbar macht. Hatten jene zur Infarktabwehr für die Innenstadt einen modal-split von 80 Prozent öffentlichen und 20 Prozent privaten Verkehr erkämpft, so wandelt sich diese Position im Munde des Senators unversehens in ein Argument, die Straßen zahlreicher und breiter zu machen. Denn anders seien auch die um vier Fünftel reduzierten Autoströme nicht zu bändigen, so Haases schlitzohriger Schluß, dessen simpler Logik sich kaum ein Untergangsvisionär verschließen kann. Diese Logik zu durchbrechen hieße, sich dem, was man nicht will, auch nicht mehr zu widmen, sondern sich dem zuzuwenden, was man will – und das zu 80 Prozent Dieter Rulff
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