Verkauft an ein Bordell in Kalkutta: Kindheit als Hölle
In Nepal verkaufen Familien jedes Jahr tausende Mädchen an indische Bordelle. Ein Buch erzählt den Leidensweg eines verkauften Mädchens.
"Ein Sohn wird immer ein Sohn sein, sagen sie. Aber ein Mädchen ist wie eine Ziege. Sie ist so lange gut, wie sie dir Milch und Butter gibt. Aber keiner weint ihr eine Träne nach, wenn die Zeit zum Schlachten gekommen ist." Lakshmi ist dreizehn Jahre und lebt in einem abgeschiedenen Gebirgsdorf in Nepal. Arbeit, Entbehrung und die Launen der Natur bestimmen das Leben fern der Zivilisation.
Als die Sturzregen des Monsuns das Reisfeld der Familie zerstören, soll Lakshmi als Dienstmädchen in die Stadt. Glaubt sie. Doch die Reise führt nicht zu einer reichen Familie, sondern ins "Haus der Heiterkeit", einem heruntergekommenen Bordell in Kalkutta. Ihr Stiefvater hat sie verkauft. Um das störrische Bauernmädchen gefügig zu machen, wird sie geschlagen, eingesperrt und ausgehungert. Nach fünf Tagen bekommt die Ausgedürstete ein mit Drogen versetztes Glas Mangolassi, einen Cocktail, der jeden Widerstand bricht. Dann kommen die Männer: "Sie sind alt, jung, schmutzig, sauber, groß, klein, dunkel, hell, bärtig, glatt, dick, dünn. Sie sind alle gleich … Dreißig Rupien. So viel kostet eine Flasche Coca-Cola in Bajai Sitas Laden. So viel bezahlen sie für mich."
In tagebuchartigen Aufzeichnungen erzählt Lakshmi vom Dorf, von der Reise und vom Überleben im Kinderbordell. Dabei schenkt die Autorin dem dreizehnjährigen Mädchen mit geringer Weltkenntnis eine glaubhafte Stimme, die den Lesenden sofort fesselt. Unter schlaglichtartigen Kapitelüberschriften berichtet sie in einfachen, oft lyrischen Sätzen. Lakshmi beobachtet sich und die andern Mädchen, die Abstumpfung und die Trostversuche.
McCormick hat für ihr Buch in Nepal und Kalkutta recherchiert. Sie sprach mit Zwangsprostituierten, die gerettet wurden und mit Vertretern der Hilfsorganisationen. "Verkauft" konfrontiert den Leser mit dem Faktum Kinderprostitution, aber lässt einen nicht mit der Hilflosigkeit und Abscheu allein, die man angesichts dieses Unrechts empfindet. Indem Patricia McCormick dem Thema ein Gesicht und eine Geschichte gibt, macht sie den Weg ins Unvorstellbare nachvollziehbar. Detailliert beschreibt sie die Ausweglosigkeit der Mädchen: Wer wegläuft, dem wird der Kopf geschoren, damit die Fänger der Bordellbesitzerin die Mädchen erkennen und sie zurückbringen.
Falls ein Mädchen seine Schulden, also den eigenen Kaufpreis plus Miete, Nagellack, Make-up und Medizin, abbezahlt hat, warten neue Demütigungen: Im Heimatdorf gilt sie als ehrlos und wird oft wie eine Aussätzige vertrieben. Dass die so erniedrigten Mädchen nicht mehr in der Lage sind, Vertrauen zu den als Freier getarnten Helfern zu fassen, ist klar. Ein Entrinnen aus dem Teufelskreis ist für Lakshmi nur möglich, weil sie bei der Dorflehrerin ein wenig schreiben und rechnen gelernt hat. So kann sie heimlich schreiben und schließlich lesen, was auf dem Kärtchen des Amerikaners steht, der ihr Hilfe anbietet. Es ist das kleine bisschen rudimentäre Bildung, die Lakshmi rettet.
Erwachsene sollten trotz des krassen Themas nicht zögern, Jugendlichen dieses Buch zum Lesen zu geben. Zwar ist Lakshmis Schicksal die Hölle auf Erden, zeigt aber einen Ausweg, zu dem es neben der Hilfe von außen auch den Glauben an die eigene Würde braucht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen