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Archiv-Artikel

Verhältnisse, die im Fluss sind: „The Killing of a Chinese Bookie“ im Metropolis Das Striplokal als Ort der Imagination

Nach A Woman Under the Influence und Opening Night, die im Laufe der letzten Monate im Metropolis wiederaufgeführt wurden, bietet sich mit The Killing of a Chinese Bookie nun ein weiteres Mal die Gelegenheit, einem der innovativsten Regisseure der Filmgeschichte (wiederzu-)begegnen. Seit seinem Debüt Shadows von 1959 gilt John Cassavetes als Vater des amerikanischen Independentkinos, der Regisseure wie Martin Scorsese, Robert Altman und Francis Ford Coppola beeinflusste. Dabei hat es Cassavetes nie zu dem Ruhm seiner Nachfolger gebracht, seine Filme wurden bei ihren Erstaufführungen meist von der Kritik verrissen und fanden wenig Anklang beim Publikum.

Erst A Woman Under the Influence (1975) entwickelte sich zu einem bescheidenen Erfolg, den Cassavetes mit dem im selben Jahr gedrehten The Killing of a Chinese Bookie wiederholen wollte. Beide Filme sah er als Wendepunkte seiner künstlerischen Arbeit, bei der es ihm nun nicht mehr um den unmittelbaren Ausdruck seiner Gefühle und Erfahrungen ging, sondern um bewusst eingesetztes handwerkliches Können. Bookie bezeichnete er in einem Interview als „intellektuelles Experiment“, das darin bestand, nicht mehr seine eigene Gefühlswelt auszuloten, sondern die geschlossene Welt einer ihm fremden Figur, des Stripclub-Besitzers Cosmo Vitelli.

Zum Gefühl, filmisches Neuland zu betreten, trug wohl auch bei, dass es sich bei Bookie um Cassavetes‘ ersten Ausflug ins Genrekino handelte. Doch die Geschichte eines Mannes, der zur Begleichung seiner Spielschulden von der Mafia gezwungen wird, einen chinesischen Buchmacher umzubringen, ist kein gewöhnlicher Gangsterfilm. Im Mittelpunkt stehen wie bei allen Cassavetes-Filmen die Figuren selbst, allen voran diesmal Ben Gazzara. Als eine Art Familienoberhaupt und Impresario ist Cosmo nicht nur für seine Tänzerinnen verantwortlich, sondern auch für Bühnenbild, Texte und Beleuchtung der Shows. Die Figur birgt ein Selbstbildnis des Autorenfilmers Cassavetes, der für die finanzielle Unabhängigkeit seiner Filme nahezu jedes Risiko einging.

Außer in einigen Genreszenen, vor allem der Ermordung des Buchmachers, bewegt sich der Film kaum vom Club Crazy Horse weg. Hier, im Anblick der Leiber auf der Bühne, kommt Cosmo zu sich selbst, indem er ein anderer sein kann. Die Bühne ist der Ort der Transformation und der Imagination, auf der die Figuren in diversen von Cosmo arrangierten Performances sich selbst ausloten können. Für einen Stripclub ist dabei erstaunlich wenig nackte Haut zu sehen. Nicht um Erregung und Spektakel geht es hier, sondern um Experimente in körperlicher Expressivität, um Stimme, Gestik, Tanz, Licht und Schatten und die Macht der bunten Scheinwerfer, eine kleine Bühne in einen unendlichen Raum der Fantasie zu verwandeln.

Was auf dieser Bühne wie auch in den Filmen von Cassavetes entsteht, ist zum einen eine Art Ersatzfamilie, bei der jeder für den anderen alles sein kann, Mutter, Freund, Liebhaber. Zum anderen entsteht ein Laboratorium filmischer und performativer Darstellungsformen, die Cassavetes 20 Jahre vor Erfindung des Dogma-Kinos in ihre Bestandteile zerlegt und neu zusammengesetzt hat. Nicht die nackte Wahrheit über die Figuren tritt auf dieser Bühne ins Scheinwerferlicht, sondern ein Ensemble expressiver Gesten und zwischenmenschlicher Verhältnisse, die immer im Fluss sind.

Insofern ist auch Cassavetes‘ Gegenüberstellung von Emotionalität und handwerklichem Können irreführend, da bei ihm wie kaum einem anderen Regisseur die Suche nach unverblümter Wahrheit mit der Suche nach neuen Stilmitteln und Ausdrucksformen einhergeht. Der Mann war seiner Zeit einfach Lichtjahre voraus, weshalb Bookie dann auch bei Kritik und Publikum sang- und klanglos unterging. Volker Hummel

Ab heute: „The Killing of a Chinese Bookie“; ab 24.7.: „Opening Night“; beide im Metropolis