: Verglühter Leitstern
Das Ende des linken Magazins war absehbar – wichtige Themen wurden hier nicht mehr behandelt
Dass das Kursbuch eingestellt wird, überrascht ja nicht wirklich. Es lag einfach nicht mehr zwingend auf der Hand, die aktuelle Ausgabe zu erwerben. Thematisch hatte es schon vor der freundlichen Übernahme durch den Holtzbrinck-Konzern Saft und Kraft verloren.
Ein intellektuell siechendes Irgendwie und Irgendwas – und wer auf das Kursbuch erst jüngst, beispielsweise in einer Bahnhofsbuchhandlung, stieß, wird nicht begreifen können, dass dieses Medium einst ein, ach was, das Vademecum war. Ein solches unterscheidet sich von einem beliebigen Medium durch das Gefühl, dessen Inhalt, auch aus ratgeberischen Gründen, kennen, ja einatmen zu müssen.
Das Kursbuch, 1965 von Hans Magnus Enzensberger gegründet, war intellektuell, mehr noch als die Konkret, der Stern oder der Spiegel, der stichwortspendende Leitstern am Medienhimmel der Achtundsechzigerbewegung. AutorInnen kamen zu Wort, die dem Publikum gaben, was es wollte – Kritisches, Grundsätzliches zu den USA, zu Vietnam, zur Psychiatrie, zur Erziehung und zum chinesischen Abenteuer um den Revolutionsführer Mao Tse-tung. Heute lesen sich die Register der ersten 20 Kursbuch-Jahre wie ein Who’s who der studentischen Revolte. Viel französischer Strukturalismus kam in die deutsche Welt mit dem Kursbuch, außerdem eine Prise Kuba, etwas Rüstungsindustrie, viel Kapitalismus (immer abschaffenswert) und jede Menge Psychologisches.
Andererseits war das Kursbuch niemals das, was Enzensberger so umriss: „Kursbücher schreiben keine Richtungen vor. Sie geben Verbindungen an und sie gelten so lange wie diese Verbindungen. So versteht die Zeitschrift ihre Aktualität.“ Eine programmatische Aussage, die auch als smarter-moderner Opportunismus decodiert werden darf: Man bringt zur Veröffentlichung, was die akademischen Kreise (und ihr Nachwuchs, glaubenshungrig) lesen wollen.
Insofern ist es kein Wunder, dass gerade im Jahre 1968 sich in keiner Ausgabe irgendein Hinweis auf die nationalsozialistischen Verbrechen geschweige denn eine Aufklärung, man sprach lieber über Faschismus und also über die USA, über Folter (in der BRD!, nicht in der Sowjetunion), über Kapitalismus und nicht über den damals schon abwicklungsbedürftigen Sozialismus jedweder Prägung.
Das Kursbuch war ein Ratgeber für intellektuell eher bequeme Naturen – für ein Milieu, das die Revolte als Lifestyleangebot nahm. Nach 1968 sank das Kursbuch über viele Jahre dahin, bis in ein Wachkoma. Der Tod des Blatts stimmt, obwohl sich dessen Weiterleben niemand vorstellen mochte, traurig, irgendwie. Die wichtigen Fragen hat dieses Periodikum nie erörtern wollen. JAN FEDDERSEN