piwik no script img

Vergessener JahrestagDie Freiheit kam aus Hessen

Eine historische Zäsur von nicht zu überschätzender Dimension feierte gestern in Bremen ein äußerst stilles Jubiläum: die Unabhängigkeit der Stadt von der Kirche

Die Kaiserpfalz im hessischen Gelnhausen: In ihren längst überwucherten Mauern wurde 1186 mit dem Barbarossa-Privileg die Grundlage für Bremens Blüte gelegt

Staatsfeiertag in Bremen: Ruhte gestern die Arbeit? War das Rathaus beflaggt? Trug der Bürgermeister seine güldene Amtskette? Jens Böhrnsen (SPD) hat keine. Hätte er eine, sie wäre im Tresor geblieben. Dabei hat Bremen allen Grund, seine Erhebung zur Freien Reichsstadt zu feiern: Gestern jährte sich dies wichtige Datum zum 825. Mal.

Doch im Senat, in dessen Sitzungssaal der dafür verantwortliche Kaiser Barbarossa unübersehbar verewigt ist, wehte der heiße Atem der Geschichte weitgehend unbemerkt. Man habe den Termin leider übersehen, erklärt Senatssprecher Hermann Kleen, auch im Flaggenkalender des Rathauses fehle das Datum.

Nun kann man den Tag der jährlichen Tibet-Beflaggung als spannender ansehen - doch auch das Amt des Regierungssprechers gäbe es nicht, hätte Barbarossa nicht im Jahre 1186, auf seiner Pfalz zu Gelnhausen in Hessen, ein folgenreiches "Privileg" unterzeichnet. Es erkannte die Stadt als politische Körperschaft und sicherte den cives Bremensis civitatis entsprechende Rechte und Schutz zu. Bis dato waren sie mehr oder weniger der Willkür ihres Landesherren, des Erzbischofs, ausgeliefert.

Speziell für entlaufene Leibeigene bedeutete das Privileg viel: Schafften sie es, ein Jahr und einen Tag unbescholten in der Stadt zu sein, konnte sie ihr Feudalherr nun nicht mehr zurückfordern. "Stadtluft macht frei": Eine juristische Perspektive, von der heutige Illegale nur träumen.

Gewiss gibt es Jubiläen mit mehr Nullen. Aber sonst ist das Stadtmarketing auch nicht zimperlich: 1996 wurde zur Feier des "Linzer Diploms", einer von Ferdinand III. teuer erkauften Freiheitsbestätigung, eigens der Bundespräsident eingeflogen. 2008 beging Bremen groß seinen vermeintlich 650. Hanse-Geburtstag - in einem Jahr, das man ebenso gut der 723. Wiederkehr der "Verhansung" Bremens widmen könnte, seinem Rausschmiss aus dem Bündnis.

Und was ist ein windiger "Kanzlerbrief", um den man auch viel Gewese machte, gegen die erstmalige Übertragung der Regierungsgewalt auf Bürgerschaft und Kaiser, zu Lasten des Bischofs? Dieser Grundstein der Trennung von Kirche und Staat hätte wenigstens der sonst so regen Bremer Atheisten- und Freidenker-Union eine Mitteilung wert sein können. Oder der Frauenunion: Das Privileg regelte erstmals weibliche Erbfolgen.

Machtpolitische Voraussetzung dieser Rechtsentwicklungen war, dass Bischof Hartwig II., den selbst der distinguierte Historiker Heribert Schwarzwälder als "verschlagenen Politiker" geißelte, ein paar Mal zu oft das Lager wechselte: Der Welfe Heinrich der Löwe hatte ihn zum Bischof gemacht, sein finaler Schwenk ins Lager des Stauferkaisers Barbarossa kostete ihn die Stadtregentschaft. Wobei er es leider schaffte, seine eigenen Leibeigenen leibeigen zu halten.

Staatsarchivdirektor Konrad Elmshäuser erinnert sich, als junger Student die Feierlichkeiten zum 1986er-Privileg-Jubiläum in der Oberen Rathaushalle miterlebt zu haben. Seinerzeit wurde sogar ein Poster gedruckt. Aber aktuell? Allgemeines Vergessen. Undankbare Bremer, mag Barbarossa im Kyffhäuser grollen. Doch zum Ausgleich, verspricht Kleen, werde man umgehend mit den Planungen zum 850. Jahrestag beginnen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!