: „Verflucht zwielichtig“
Rudi Dutschke über Christian Semler
Anfang 1978 nahm Rudi Dutschke Kontakt mit dem damals in der JVA Werl inhaftierten Schriftsteller Peter-Paul Zahl auf. Das war der Beginn eines regen – unveröffentlichten – Briefwechsels, in dem der undogmatische Sozialist und der libertäre Anarchist ihre Erinnerungen an die 68er Bewegung austauschten. Auch, wie könnte es anders sein, über Christian Semler. So schildert Dutschke in seinem Brief vom 10. April 1978 eine erst kurz zurückliegende Begegnung mit seinem einstigen politischen Freund, der einen anderen Weg eingeschlagen hatte und sich Ende der siebziger Jahre noch in seiner K-Gruppenphase befand. Sie trafen sich bei einer Veranstaltung in Frankfurt, schreibt Dutschke:
„Eigenartigerweise oder verständlicherweise war Semler anwesend, ich entdeckte ihn vom Podium aus, mußte schier automatisch grinsen; es mangelte andererseits nicht an Bitterkeit. Obskur wurde die Lage während der Diskussion. Plötzlich streckte sich mir eine Hand entgegen. Ich wußte noch nicht, wessen Hand das war, kann ja rechts nicht sehen – Resultat der 60er –, mache meine Notizen. Dann drehte ich mich um, hatte die Hand schon hinter meinem Rücken ergriffen … und da sah ich den Christian Semler. War schon irgendwie verflucht zwielichtig. Widersprüche, seien es nun historische oder theoretisch-politische, lassen sich nicht einfach wegwischen.“
Als der Autor dieses Artikels Christian Semler von der Passage erzählte, lachte er herzlich: Er konnte Rudi Dutschkes damalige Gefühle nur zu gut verstehen. Persönlich klären konnten die beiden ihre Widersprüche nicht mehr: Dutschke starb im Dezember 1979 an den Folgen des auf ihn 1968 verübten Attentats – wenige Monate bevor mit der Auflösung der KPD/AO auch die dogmatische Periode Christian Semlers zu Ende ging.
PAB