Verfemt, vergessen, rehabilitiert: Eine aufgesetzte Dynamik
■ Anton Räderscheidt, in einer Kölner Retrospektive wiederentdeckt
1961, in der Blüte der informellen Kunst, wurde in einer Berliner Ausstellung die figurative Malerei der „Neuen Sachlichkeit“ wiederentdeckt. Nach dem Krieg war die ganze Richtung aus dem Kunstleben ausgeschlossen worden, wegen der Hinwendung einiger ihrer Vertreter zur nationalsozialistischen Kunstanschauung. Anton Räderscheidt erlebte eine verspätete, halbherzige Rehabilitierung.
Der 1892 in Köln geborene Maler probierte zu Beginn seiner Arbeit die verschiedensten Möglichkeiten der Moderne aus: er gründete zusammen mit Max Ernst 1919 eine Kölner Dada- Gruppe und schuf wenig später konstruktivistische Kleinplastiken. Mit Beispielen dieser Periode beginnt die Retrospektive. Die Bekanntschaft mit den Kölner „Progressiven“ Gerd Arntz, Franz W. Seiwert u.a., sowie die „Pittura metafisica“ de Chiricos führten ihn zur figurativen Malerei. Der Italiener war sein Vorbild, als er damit anfing, Menschen wie Dinge zu malen. Räderscheidts Bildnisse verarbeiten die von ihm beobachtete Orientierungslosigkeit der Menschen nach dem Ersten Weltkrieg. Die Gruppenbilder zeigen die Menschen voneinander isoliert.
In zahlreichen Paarbildern und selbstbespiegelnden Varianten des Maler-und-Modell-Typs versuchte er den Schock zu bewältigen, den ihm die Frauenemanzipation – konkret die seiner Frau Marta Hegemann – versetzte. Er verlieh seinen Figuren häufig eine aufgesetzte Dynamik: von einer äußeren Kraft werden sie scheinbar in die Höhe gerissen, ohne ihren Platz wirklich zu verlassen. Einzig das dinglich Greifbare verspricht Halt zu geben. Deshalb malte Räderscheidt zahlreiche Blumenstilleben von glasharter Klarheit.
Seit dem Ende der 20er Jahre war Räderscheidt auf dem Weg, die Glätte der sachlichen Malerei durch freiere Farbwahl und rauhere Malerei zu brechen. Nach der Machtübernahme der Nazis lebte er einige Jahre im sicheren Exil in Paris, wo er Kontakt mit der dortigen Avantgarde bekam. Seine damals gemalten Bilder zeigen Einflüsse Picassos („Die Witwe“, 1939) und nehmen die Malerei der Jungen Wilden vorweg („Schwarzes Kind in den großen Armen“, 1938).
Aus den Internierungslagern des Vichy-Regimes und dem Tod nur knapp entronnen, gelang ihm und seiner Familie 1942 die Flucht in die Schweiz. Dort setzte er zunächst erfolgreich seine Arbeit an abstrakt-figurativen Motiven fort.
Von Räderscheidts Oeuvre der 1920er und 1930er Jahre blieb wegen der „Entarteten Kunst“- Aktion und seiner Flucht aus Frankreich wenig erhalten. Nach dem Krieg litt er unter dem Kunstdiktat, das figurative Kunst als Tendenz der Moderne ausschloß.
Von einer informellen Phase zwischen 1957-64 abgesehen schuf Räderscheidt bis zu seinem Tod 1970 ein originelles Werk, dessen Wiederentdeckung sich lohnt. Seine schrillen „Figuren“ (1969) liegen promiskuitiv übereinander, durch schwarze Konturen aus den Farbturbulenzen herausgelöst. Zugunsten solcher Gemälde hätte die mit Auftragsportraits und Kölner Heimatbildern (Brotarbeit der 50er Jahre) verstopfte Retrospektive großzügiger arrangiert werden sollen. Christoph Danelzik
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