Verfassungsschutz und Gemeinnützigkeit: Gefahr „kommunistisches Weltbild“
Extremistisch eingestuften Vereinen droht der Verlust der Gemeinnützigkeit. Wo der Verfassungsschutz danebenlag und wie sich Vereine teilweise mit Erfolg gewehrt haben.
FREIBURG taz | Vereine, die der Verfassungsschutz für extremistisch hält, sollen künftig automatisch ihre Steuervorteile verlieren. Niemand kann sagen, wie viele als extremistisch eingestufte Organisationen trotzdem als gemeinnützig gelten, angeblich hat nicht einmal der Verfassungsschutz den Überblick. Hier einige Beispiele, um die es bereits Diskussionen und Prozesse gab.
Collegium Humanum: In der rechtsradikalen Bildungseinrichtung in Vlotho (NRW) werde der Holocaust relativiert, berichtete Anfang 2008 der Spiegel. Die Akademie wurde zwar im Verfassungsschutzbericht des Bundes erwähnt, hatte aber zugleich den Status der Gemeinnützigkeit. Die Proteste waren so zahlreich, dass daraufhin das Steuerrecht verschärft wurde: Schon die Erwähnung in einem Verfassungsschutzbericht sollte künftig in der Regel den Verlust der Gemeinnützigkeit zur Folge haben. Das Collegium Humanum wurde im Mai 2008 aber gleich ganz verboten.
Al-Rahman-Moschee Leipzig: Dieser dem Salafismus zugerechnete Moscheeverein war eine der ersten Einrichtungen, die die Gemeinnützigkeit nur deshalb verlor, weil sie in einem Verfassungsschutzbericht (hier: Sachsens) genannt wurde. Der Verein klagte jedoch dagegen – mit Erfolg. Das Finanzgericht Leipzig entschied 2011, dass vom Verfassungsschutz monierte Links auf der Moschee-Webseite nicht ausreichten, den Verein als extremistisch einzustufen.
Initiativ e. V.: Die Duisburger Gruppe, die dem linken Antiimperialismus-Spektrum zugerechnet wurde, verlor die Gemeinnützigkeit, weil sie im Verfassungsschutzbericht von NRW erwähnt wurde. Unter anderem wurde ihr ein „kommunistisches Weltbild“ unterstellt. Das Finanzgericht Düsseldorf zeigte sich hiervon im Februar 2010 unbeeindruckt: „Die Ausführungen in den Verfassungsschutzberichten erschöpfen sich in bloßen Mutmaßungen.“
Die Gemeinnützigkeit bekam der Initiativ e. V. aber aus einem anderen Grund nicht zurück: Der Verein habe sich zu viel mit Themen wie Hartz IV beschäftigt, die mit dem Satzungszweck „Völkerverständigung“ nichts zu tun hätten, so das Gericht.
AIDA: Der bayerische Verfassungsschutz nahm die Antifaschistische Informations-, Dokumentations- und Archivstelle (AIDA) im Jahr 2008 als „linksextremistische Organisation“ in seinen Bericht auf. Kurze Zeit später verlor das Münchener Antifa-Archiv seine Gemeinnützigkeit. Auch AIDA klagte – aber nicht gegen den Steuerbescheid, sondern schon gegen die Aufnahme in den Verfassungsschutzbericht. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof entschied 2010, dass der Eintrag geschwärzt werden muss. Es seien keine Tatsachen mitgeteilt worden, warum AIDA extremistisch sein soll. Über die Einträge in späteren VS-Berichten wird noch prozessiert.
VVN/BdA Rheinland-Pfalz: Das Finanzamt Mainz entzog im September 2011 dem Landesverband der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN) die Gemeinnützigkeit, weil die Organisation in den Verfassungsschutzberichten von drei anderen Ländern (u. a. in Bayern) erwähnt wurde. Nach politischen Protesten nahm das Finanzamt die Entscheidung ein halbes Jahr später wieder zurück. Eine Klage war hier nicht erforderlich. Künftig wäre das nicht mehr möglich.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Fake News liegen im Trend
Lügen mutiert zur Machtstrategie Nummer eins
Mord an UnitedHealthcare-CEO in New York
Mörder-Model Mangione
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen