: Verfassungsschutz ohne Schlappohren
Hätte ein Mordanschlag auf Kurden in Berlin durch Telefonabhörung verhindert werden können? / Mykonos-Untersuchungsausschuß befindet über Verantwortung des Innensenators ■ Aus Berlin D. Rulff
Für Berlins Innensenator Dieter Heckelmann ist das Landesamt für Verfassungsschutz „eine heiße Nummer“. Doch obwohl ihm die politische Brisanz der chronisch skandalträchtigen Behörde bekannt ist, unterließ es der CDU- Politiker in den ersten 26 Monaten seiner Amtszeit, überhaupt einen Fuß in sie zu setzen. Erst im Mai 1993 sah er sich gezwungen, den Verfassungsschutzausschuß des Abgeordnetenhauses in die Geheimdienstzentrale in der Dahlemer Clayallee zu begleiten. Die Parlamentarier verlangten Aufklärung über die Rolle, die das Amt im Vorfeld des Mykonos-Attentates gespielt hat. Vor allem die Oppositionsparteien hegen den Verdacht, daß das Attentat, bei dem im September 1992 vier kurdische Oppositionspolitiker vom iranischen Geheimdienst erschossen wurden, hätte verhindert werden können, wenn der Verfassungsschutz besser gearbeitet hätte.
Seit gestern geht ein Untersuchungsausschuß des Abgeordnetenhauses der Frage nach, ob der Innensenator die Verantwortung für diese Versäumnisse des Amtes trägt, weil er sich nicht im ausreichenden Maße um dessen Arbeitsfähigkeit gekümmert hat. Der Ausschuß wird vor allem zu klären haben, warum erst nach dem Attentat das Amt technisch und personell in die Lage versetzt wurde, Telefonüberwachungen durchzuführen, obgleich mit einer solchen Maßnahme die Attentäter hätten enttarnt werden können.
Denn der Mann, der sich im Herbst vor dem Berliner Kammergericht wegen des Anschlages verantworten muß, war für die Berliner Sicherheitsbehörden kein Unbekannter. Kazem Darabi lebte seit 1984 als Gemüsehändler in der Stadt, obgleich er als Kopf der Hisbollah in Deutschland galt und nach Einschätzung alliierter Dienste „bestinformiert und höchst gefährlich“ war. Als im Winter 1992 der Hisbollah-Chef Mussawi bei einem israelischen Angriff ums Leben kam, wurden auch die deutschen Behörden auf die Gefahr von möglichen Anschlägen aufmerksam gemacht. Darabi wurde jedoch lediglich vom Staatsschutz zu einem „präventiven Kontaktgespräch“ geladen. Gleichzeitig mahnte das Bundesamt für Verfassungsschutz seine Berliner Kollegen an, eine G-10-Maßnahme (Telefonüberwachung) bei dem Hisbollah-Mann durchzuführen. Doch das Landesamt sah sich dazu erst Ende September 1992 in der Lage, zehn Tage nach dem Attentat. Begründet wurde die lange Frist zunächst mit der Suche nach einem geeigneten Dolmetscher, doch mittlerweile hat sich herausgestellt, daß das Landesamt gar nicht in der Lage war, solche Maßnahmen durchzuführen.
1991 war in Berlin ein G-10-Gesetz erlassen worden. Bereits im Herbst 1990 hatte das Landesamt fünf Stellen dafür beantragt, zwei davon wurden noch von Heckelmanns Vorgänger Erich Pätzold genehmigt. Doch unter Heckelmann wurde beschlossen, zunächst die Reform des Amtes in Angriff zu nehmen. Ein Schreiben des Verfassungsschutzes vom Mai 1991, in dem dieses „sich nicht in der Lage (sieht), G-10-Maßnahmen durchzuführen“, blieb unbeantwortet, auch das einzige Vier-Augen-Gespräch zwischen Heckelmann und Amtsleiter Heinz Annußek zu dem Thema blieb ohne konkrete Ergebnisse. Solche Einzeldinge seien Sache der Behörde, er befasse sich nur mit Dingen von „politisch grundsätzlicher Bedeutung“.
Ob die Geschehnisse im Vorfeld des Mykonosattentates von solcher Bedeutung sind, wird der Ausschuß nach Anhörung weiterer Zeugen bewerten. Während für das Bündnis 90/Grüne bereits gestern feststand, daß sich der Innensenator nicht hinreichend um die Sicherheit des Landes gekümmert hat, kann für die SPD die Beweisaufnahme auch ergeben, daß keiner Konsequenzen ziehen muß. Die Sozialdemokraten würden Heckelmann zwar gerne loswerden, doch schrecken sie vor den nachhaltigen Erschütterungen zurück, die dessen Rücktritt in der Großen Koalition hervorrufen würde.
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