piwik no script img

Verdrängte Ausgrenzung

In „Outsider. Freud“ setzt sich der Filmemacher Yair Qedar mit Sigmund Freuds Verhältnis zum Antisemitismus auseinander. Und verknüpft dabei bislang nicht gesehene Filmaufnahmen des Erfinders der Psychoanalyse mit Traumsequenzen und 3D-Animationen

Ein Zug fährt durch eine Wohnzimmer-Berglandschaft: Mit solchen Traumsequenzen eröffnet Qedar seinen Film Foto: Yair Qedar

Von Wilfried Hippen

Ein Eisenbahnzug fährt durch eine Berglandschaft, aber der Boden, über den er fährt, ist ein Wohnzimmerteppich. Jemand schaut in diesem Zug aus dem Fenster, aber statt eines Kopfes sitzt eine lila Blumenblüte auf dessen Schultern. Diese in 3D animierten Traumbilder hat der israelische Filmemacher Yair Qedar als Kernmetaphern an den Anfang seines Films über Sigmund Freud gesetzt.

Denn Eisenbahnfahrten spielten in der Gedankenwelt von Freud eine große Rolle. In einem seiner Briefe schilderte er etwa eine Situation, in der er in einem Zugabteil ein Fenster öffnete, einer der Mitreisenden ihn aber daran hindern wollte und ihn dabei als „dreckigen Juden“ bezeichnete. In einem anderen Text schreibt Freud, wie enttäuscht er als Kind von seinem Vater war, als dieser sich nicht wehrte, als er als Jude beschimpft und ihm auf der Straße der Hut vom Kopf geschlagen wurde.

Als Jude war Sigmund Freud ein „Outsider“, auch wenn er ansonsten als eine der berühmtesten und einflussreichsten Persönlichkeiten des 20. Jahrhunderts zu den Insidern gehörte. Yair Qedar nennt den Titel seines Films auch selbst „paradox“ und „ironisch“. Aber mit ihm beschreibt er seinen eigenen Zugang zu Freud, den er als jenen Menschen bezeichnet, „über den in der Ära der Moderne am meisten geschrieben wurde“. Er traute sich trotzdem, noch einen Film über ihn zu machen, weil das Thema ihn aus diesem Blickwinkel interessierte und weil es neue Filmbilder von Sigmund Freud gibt.

„Outsider. Freud“, Regie: Yair Qedar, Israel/Österreich/Deutschland 2015, 66 Minuten, diverse Sprachen mit englischen Untertiteln

Vorführung in Kooperation mit der Transkulturellen Arbeitsgruppe des Psychoanalytischen Instituts Bremen: Fr, 22. 8., 20.30 Uhr, City 46, Bremen

Dessen Patientin, Kollegin und Unterstützerin Prinzessin Marie Bonaparte hatte im Wien der 1930er-Jahre Home Movies von Freud und seiner Familie gedreht, die erst in der CovidZeit digitalisiert und so verfügbar wurden. Darin sieht man ihn etwa im Kreis seiner Familie essen oder mit seinen Kindern und Hunden spielen. So zeigt der Film zumindest auf der Bildebene einen so noch nie zuvor gesehenen Sigmund Freud. Die surrealen Traumbilder haben dagegen als Illustrierungen des Unbewussten eine inzwischen schon fast 100 Jahre alte Tradition. Aber darum weiß Qedar selbst, denn in seinem Film zeigt er auch einige Bilder aus Luis Buñuels „Un chien andalou“ von 1929.

Qedars Mischung aus Dokumentar- und Arthousefilm ist stilistisch reizvoll. Denn neben den konventionellen Mitteln des Dokumentarfilms wie historischen Fotos und Archivaufnahmen sowie den „Talking Heads“ von vielen Freud-Expert*innen, die versuchen, den Vater der Psychoanalyse zu analysieren, leistet Qedar sich auch filmtechnische Extravaganzen wie 3D-Reanimationen von Freuds Studienraum und Behandlungszimmer. Also Home Movies auf einer ganz anderen Ebene.

Interessant wird der Film immer dann, wenn er aufs Kernthema zurückkommt: Freud und der Antisemitismus

Ansonsten zitiert er ausgiebig aus Freuds Notizen und Briefen (unter anderem an seinen Freund Stefan Zweig), die im Film übrigens nicht auf Deutsch, sondern in Englisch vorgelesen werden. Und dies, obwohl der Film ansonsten sehr polyglott ist und die ExpertInnen in ihren Muttersprachen Hebräisch, Englisch, Französisch und Deutsch sprechen. Trotz der Beteiligung von ORF, RBB und Arte gibt es auch keine deutschen Untertitel für den Films, sodass das Publikum in der Ankündigung des City 46 davor „gewarnt“ wird, dass „sowohl der Film als auch die anschließende Diskussion auf Englisch stattfinden“.

Hat die Bedrohung durch den Antisemitismus lange verdrängt: Sigmund Freud Foto: Library of Congress

In den 66 Minuten des Films reißt Qedar viele Aspekte des Lebens und der Lehre von Freud zwangsläufig nur sehr kurz an. Da werden Themen wie Freuds Kokaingebrauch, sein Verhältnis zu seinen Eltern oder seine Entscheidung, sein Leben selbstbestimmt zu beenden, eher eilig und oberflächlich behandelt.

Interessant wird der Film aber immer dann, wenn er auf Qedars Kernthema zurückkommt: Freud und der Antisemitismus. Hier macht er etwa deutlich, dass Freud die Bedrohung der Juden durch die Nazis lange nicht ernst genommen hat und er deshalb erst sehr spät, fast gegen seinen Willen, nach England ins Exil ging. Freud, der Erforscher der Verdrängungsmechanismen, hat auf dieser Ebene also selbst heftig verdrängt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen