Verbrechensmetropole : Kugelhagel abgesagt
Wie es wohl gerade meinem Nummernschild geht, sollte mir der Polizist auf der Wache sagen. Über Nacht war es einfach verschwunden. Der zwei Meter große Polizist blickte auf mich herab, stemmte seine Hände in die Seite und blaffte: „Det is halt Berlin. Das passiert. Was erwarten Sie?“ Dann schwiegen wir und er schaltete den Scan-Blick ein: War ich einfach dumm oder nur neu in Berlin? Mit einem Seufzer schob er mir einen Stuhl zu und begann den Crashkurs über die verbrecherische Hauptstadt.
Mein Nummernschild, machte er klar, sei verloren im Sumpf des Verbrechens. Geschraubt auf ein Gaunerauto unternimmt es vermutlich gerade wilde Benzindiebstähle in der ganzen Stadt. Im Bunde mit bösen Buben, die einfach ohne Bezahlen aufs Gas drücken. Auf den Überwachungskameras spielt es dann den falschen Köder. Was für ein kriminelles Ende. Ich fragte, ob die geprellten Tankstellenpächter mich anzeigen würden. Schließlich sei es ja mein Nummernschild.
An meiner Angst labte sich nun ein anderer Polizist. Das sei ja noch harmlos: „In Berlin hat jeder Zweite ein Messer in der Tasche.“ Es könne also noch schlimmer kommen: Vielleicht landet mein Nummernschild am Fluchtwagen eine Messerstechers. Der wiederum könnte zwischen Bankraub und Geiselnahme im Kugelhagel enden. Ich sah mich bereits in einem Verhörraum sitzen, wo ich erklären muss, was mein Nummernschild mit diesem Kapitalverbrechen zu tun hat.
Beim Angst-Schwärmen über das böse Berlin werden wir plötzlich gestört. Mein Nummernschild war zurück! Mehrere Kilometer hatte es der brave Finder zur Polizeiwache getragen. Welch peinliches, nichtkriminelles Ende. Als ich das ramponierte Ding nach Hause trug, hatte ich mich aber an den Gedanken der bösen Hauptstadt gewöhnt: Der Finder war bestimmt kein Berliner.
MARKUS MÄHLER