Verbraucherschützer über Google-Krankenakten: "Nutzer zahlen mit intimsten Daten"
Wer Gesundheitsdaten im Internet preisgibt, kann schnell die Kontrolle über sie verlieren, warnt Verbraucherschützer Etgeton. Er misstraut dem Geschäftsmodell von Google.
taz: Herr Etgeton, Versicherte und Ärzte haben in Deutschland selten einen Überblick über die gesamte Krankheitsgeschichte eines Menschen. Das führt zu unnötigen Untersuchungen, Fehlbehandlungen und kostet Geld. Können die elektronischen Krankenakten, die Google und Microsoft in den USA bereits anbieten, helfen?
Stefan Etgeton: Ob diese Produkte, die ja für den US-amerikanischen Gesundheitsmarkt entwickelt wurden, auch in Deutschland anwendbar sind, bezweifle ich sehr. Das deutsche Gesundheitswesen funktioniert einfach anders als in den USA. Außerdem muss man schon bedenken, was hinter dem Rücken des Nutzers mit diesen äußerst sensiblen Gesundheitsdaten alles geschieht.
Ärzte und Krankenkassen raten ab von den kommerziellen Krankenakten im Internet. Steckt hinter solchen Warnungen mehr als die Furcht von Funktionären, die Kontrolle über die Patienten zu verlieren?
Angesichts der Strategien von Google und Microsoft in anderen Bereichen ist meines Erachtens Misstrauen angezeigt. Oft werden ohne das Wissen des Nutzers Daten über ihn gesammelt, die Rückschlüsse auf seine Lebens- und Konsumgewohnheiten zulassen. Bei Gesundheitsdaten halte ich solch ein Geschäftsmodell für inakzeptabel. Wenn eine aufwändige Software den Verbrauchern kostenfrei zur Verfügung gestellt wird, dann "zahlt" der Nutzer letztlich mit seinen intimsten Daten. Das sollte sich jeder gut überlegen.
Die elektronische Gesundheitskarte soll ab 2009 helfen, die Patienteninformationen zu bündeln. Wird sie ausreichen, um die Versicherten von kommerziellen Angeboten abzuhalten?
In der ersten Phase wird die neue Gesundheitskarte leider nicht viel mehr bieten als die bisherige Versichertenkarte: Es wird ein elektronisches Rezept geben. Die wirklich spannenden freiwilligen Anwendungen, wie die Arzneimitteldokumentation oder die elektronische Patientenakte, kommen erst nach und nach hinzu. Das ist bedauerlich, aber so ist nun einmal die Planung. Es empfiehlt sich aber in jedem Fall, bei der Einrichtung einer elektronischen Patientenakte auf die Angebote zurückzugreifen, die für die neue Gesundheitskarte zertifiziert wurden. Sie sind damit automatisch Teil einer gesicherten Telematikinfrastruktur, also eines Systems, das in etwa so sicher sein soll wie das der Geheimdienste.
Der Datenschutzbeauftragte des Bundes sagt, Versicherte könnten die elektronische Patientenakte, die gemeinsam mit der Gesundheitskarte kommen soll, mit kommerziellen Patientenakten im Internet verwechseln. Glauben Sie das?
Diese Gefahr besteht durchaus. Deshalb ist es ganz besonders wichtig, dass man den Versicherten die Angebote der neuen Gesundheitskarte, auch wenn sie erst schrittweise eingeführt werden, gut erklärt. Hier sehe ich auch eine wichtige Aufgabe der Krankenkassen, aber auch der Verbraucherzentralen, den Versicherten zu raten, nur zertifizierte, also sicherere Produkte zu nutzen.
Die Nachfrage nach Gesundheitsinformationen im Internet boomt. Zeigt das, dass Ärzte hierzulande die Patienten noch immer in zu vielen Fällen bevormunden, statt sie verständlich und auf Augenhöhe zu beraten?
Das würde ich so nicht sagen. Es zeigt vielmehr, dass immer mehr Patienten vor dem Arztbesuch Informationen einholen, die sie dann mit dem Arzt besprechen. Die Qualität des Arztes macht sich heute auch daran fest, wie er selbst mit diesen Informationen umgeht und sie mit dem Patienten in die Behandlung einordnet. Externe Wissensquellen spielen in der Beziehung zwischen Patient und Arzt eine immer größere Rolle. Und wenn die Information sachlich ist, spricht auch nichts dagegen. Ihre liebe Not haben die Ärzte aber häufig mit als Information getarnter Werbung, die sie dann nur mit Mühe zurechtrücken können.
INTERVIEW: MATTHIAS LOHRE
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