Verbraucherinformationsgesetz in Kraft: Kein Rezept gegen Gammelfleisch
Ab sofort können sich Verbraucher genauer über ihre Nahrungsmittel informieren. Theoretisch. Anwenderfreundlich ist das Verbraucherinformationsgesetz nämlich nicht.
Zuständigkeit klären: Wer einen Antrag stellen will, hat die Qual der Wahl: Bundesinstitut für Risikobewertung, Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit oder eine Behörde auf Landes- oder kommunaler Ebene? Wer die Auskunft schnell haben will, sollte sich für die richtige Stelle entscheiden. Zur Weiterleitung des Antrags ist die Behörde nicht verpflichtet. Sie muss den Verbraucher informieren, wohin er sich sonst noch wenden kann. Vorab also telefonisch erfragen, wo die Chance auf Bearbeitung am größten ist.
Das passende Gesetz: Zwei weitere Gesetze könnten in Frage kommen: das Umweltinformationsgesetz (UIG) und das Informationsfreiheitsgesetz (IFG). Wer einen Antrag nach VIG stellt, muss sich auf das Gesetz beziehen. Man kann also nicht allgemein einen Antrag stellen und davon ausgehen, dass sich Behörden das passende Gesetz herauspicken.
Antrag stellen: Ein Antrag nach VIG muss schriftlich gestellt werden. Eine Antwort garantiert das aber auch nicht.
Warten: Das Gesetz sieht zunächst eine Frist von einem Monat vor. Wenn Dritte, wie zum Beispiel Unternehmen, befragt werden müssen, verlängert sich die Frist allerdings auf zwei Monate.
Geld bereithalten: Abhängig von Behörden und Bundesländern und Aufwand können zwischen 5 und 500 Euro anfallen. Wer hinterher gegen die Gebühren vorgehen will, kann das tun. Information und Gebührenbescheid gibt es unabhängig voneinander. Die Chancen auf Erfolg stehen dann gut, wenn die Behörde kostendeckende Gebühren haben will. Der Europäische Gerichtshof hat entschieden, dass Gebühren nicht abschreckend wirken dürfen. Wären sie aber, wenn man vor dem Antrag noch nicht einmal weiß, was auf einen zukommt.
Das Fleisch suppt in seiner Verpackung. Seine ehemals rote Farbe ist einem fahlen Braungrau gewichen, Kondenswasser hat sich an der Plastikfolie abgesetzt. Aus der Packung strömt ein süßlicher Geruch. Zum menschlichen Verzehr nicht mehr geeignet, würden Lebensmittelchemiker über das Stück Rindfleisch sagen.
Gammelfleisch, Pestizide in Obst und Gemüse, Antibiotika im Käse: Gegen Ungesundes in Lebens- und Futtermitteln, Spielzeug, Textilien und Kosmetika ersann die Politik das Verbraucherinformationsgesetz (VIG). Das Ziel: dem mündigen Verbraucher, der selbst entscheidet, welche Pestizide sein Obst enthalten darf, näher zu kommen. Die Methode: dem Konsumenten den Zugang zu Informationen zu ermöglichen, die bislang bei Behörden unter Verschluss liegen. Ab sofort haben Verbraucher einen Rechtsanspruch darauf. Was nach Offenheit klingt, bedeutet in der Praxis in erster Linie Bürokratie: Um an die Informationen zu kommen, muss er einen Antrag stellen und dann auf die Antwort der Behörde warten.
Die Idee zu mehr Verbraucherinformationen ist nicht ganz neu: Seit Ende 2001 wurde an einem Gesetzesentwurf gebastelt. Dabei ist er an ziemlich allen Ecken gescheitert, an denen ein Gesetzesentwurf scheitern kann: Von den Grünen eingebracht, zunächst blockte der Koalitionspartner SPD, in einem neuen Anlauf der Bundesrat und schließlich verweigerte Bundespräsident Horst Köhler seine Unterschrift.
Nun ist es da und gleich als reformbedürftig kritisiert. Das Verbraucherinformationsgesetz ist eine Mogelpackung, sagt Manfred Redelfs, Leiter der Rechercheabteilung bei Greenpeace. Für den Verbraucher gebe es vor allem zwei Hindernisse: Kosten und Fristen. Stellt der Verbraucher einen Antrag, hat die Behörde einen Monat Zeit, zu reagieren. Unter Umständen verlängert sich die Frist auf zwei Monate. Das Fleisch an der Theke ist dann längst verkauft, gegessen und alle Beweise ebenso. Stellt er trotzdem einen Antrag auf Auskunft, weiß er vorher nicht genau, welche Kosten auf ihn zukommen (siehe Kasten). Darüber hinaus ist die neue Regelung nicht auf alle Produkte anwendbar. Medikamente, Elektrogeräte oder auch Dienstleistungen fallen nicht unter das VIG. Denn der Gesetzestext spricht vom Lebens- und Futtermittelgesetz sowie vom Weingesetz. Und selbst wenn es so weit kommt, dass die Verbraucher informiert werden müssten, ist unklar, was genau sie eigentlich erfahren. Das kann der Name des Supermarktes sein, in dem die Ware verkauft wurde, oder der des Herstellers, obwohl für den Verbraucher eigentlich die Chargennummer des Kartons relevant wäre, kritisiert Martin Hofstetter, Landwirtschaftsexperte von Greenpeace.
Ist ein Antrag gestellt und auch berechtigt, kann sich das Unternehmen trotzdem leicht seiner Informationspflicht entziehen: Ein Hinweis darauf, dass mit der Info ein Betriebsgeheimnis verraten würde, und das Unternehmen kann sich teilweise schützen. Dazu kommt: Ist Obst mit Pestiziden belastet, die aber unter dem Grenzwert liegen, muss der Verbraucher gar keine Auskunft bekommen. Wohlgemerkt: muss nicht. Denn natürlich ist es denkbar, dass eine Behörde für die Verbraucher in die Bresche springt und unaufgefordert Informationen über belastete Lebensmittel preisgibt.
Es gibt zudem zu viele Stellen, an die sich die Verbraucher wenden können, kritisiert die auf Verbraucherrecht spezialisierte Rechtsanwältin Michéle John. Zuständig seien das Bundesinstitut für Risikobewertung, das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, ebenso wie verschiedene Behörden auf Landes- und kommunaler Ebene. An wen sich der Verbraucher mit seinem Anliegen wenden müsse, sei nur mit aufwändiger Recherche herauszufinden.
Dass es prinzipiell anders geht, zeigt ein Beispiel in Dänemark. Hier gibt es seit 2002 das Smiley-System. Wenn die Kontrolleure dicken Schimmelbelag auf den Gummidichtungen der Kühltruhen finden oder Lebensmittel mit abgelaufenem Haltbarkeitsdatum, dann müssen sich diese Geschäfte und Restaurants mit einem traurigen Smiley an Eingangstür oder Schaufenster schmücken. Das System ist ein Erfolg: Zwei von drei Dänen würden laut einer aktuellen Umfrage in einem Restaurant mit einem traurigen Smiley keinen Bissen essen.
Bei den Betrieben gaben acht von zehn an, dass das Bewertungssystem sie veranlasst hat, mehr auf Hygiene und Lebensmittelkontrolle zu achten und ihr Personal besser zu informieren. Ab dem 1. Mai gibt es aber auch hier eine Neuerung: War die Bewertung bis jetzt auf einer speziellen Website zu finden, müssen die Unternehmen sie nun auf ihrer Homepage veröffentlichen.
Auch das ist bei dem deutschen Gesetz anders: Eine aktive Informationspflicht seitens der Behörden gibt es nicht; nicht einmal bei einer Falschkennzeichnung, die immerhin eine Ordnungswidrigkeit ist, erklärt Rechtsanwältin Michéle John. Ohne Antrag vermutlich keine Auskunft. Das deutsche Gesetz schütze eher die Interessen der Lebensmittelindustrie als die Interessen der Verbraucher, so Johns Fazit. Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) sagt: "Dieses Gesetz ist ein Meilenstein." Wer Recht behält, könnte sich beim nächsten Gammelfleisch-Skandal zeigen.
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