■ Verbot der In-vitro-Fertilisation nach dem Klimakterium?: Der Staat darf nicht Bauchpolizei sein
taz: Die französische Regierung will verbieten, daß Frauen nach den Wechseljahren Kinder kriegen. Geht das die Regierung überhaupt etwas an?
Elisabeth Badinter: Nein. Das Recht auf Fortpflanzung ist allgemein, auch in seinen Übertreibungen und Gefahren. Wenn man einer Frau wegen ihres Alters verbietet, ein Kind zu haben, könnte das der Anfang einer sehr gefährlichen Entwicklung sein, die dann auch das Recht anderer Frauen auf Fortpflanzung in Frage stellen könnte – wegen ihres Alters, ihres Geisteszustandes, ihres körperlichen Zustandes oder wegen ihrer Psyche. Es zeichnet die Demokratie aus, daß der Staat nicht die Bauchpolizei ist.
Eine 80jährige soll demnach ein Kind bekommen können?
Sie nehmen da eine theoretische Option, die quasi null ist. Nehmen Sie doch eine Option, die zumindest theoretisch möglich wäre. Eine Frau mit 80 hat keine Kraft mehr. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß sie nach einer Embryonen-Implantation verlangt, mit allen Gefahren, die das einschließt. Dies ist kein Spiel, wo man die Öffentlichkeit mit unwahrscheinlichen Fällen schockieren soll. Sagen wir doch, eine Frau mit 50. In diesem Alter ist es möglich, daß es eine Menge Nachfragen geben wird.
Die Natur hat bei Frauen eine Grenze für die Fortpflanzung gesetzt...
Ich finde es unglaublich, wenn man heute mit dem Argument kommt: Das ist wider die Natur – deshalb ist es schlecht. Die Natur ist ein Mythos. Das Konzept von Natur als vom Menschen autonome Wesenheit ist ein Mythos. Die Menschheit versucht – gerade unter dem Aspekt Reproduktion – schon lange die Natur zu beherrschen. Wenn eine Frau die Pille nimmt, schlägt sie der Natur auch ein Schnippchen, oder wenn sie ihre Wechseljahre mit Hilfe von Hormonen hinauszögert. Man kann dafür oder dagegen sein, in jedem Fall ist es möglich.
Und wer schützt die Kinder vor 60jährigen Müttern?
Das ist das zweite völlig absurde Argument: das Recht des Kindes. Ein Kind, das nicht geboren ist, ist kein Rechtssubjekt. Bevor ein Kind geboren wird, ist der Embryo – das Projekt eines Kindes – kein Subjekt, sondern ein Objekt. Er ist das Objekt einer Begierde seiner Mutter. Nichts anderes. Man kann das bedauern. Man kann auch feststellen, daß wir Egoisten sind. Aber wir haben nie Kinder aus anderen Gründen gemacht, als um unsere eigenen Wünsche zu befriedigen. Den Wunsch nach Fortpflanzung, nach Zärtlichkeit, alles, was Sie wollen. Wir machen nie ein Kind für das Kind. Im übrigen haben wir längst akzeptiert, daß wir uns nicht um das Recht des Kindes kümmern. Das ist der Fall bei den Frauen mit Aids. Man weiß, daß Kinder solcher Frauen mit hoher Wahrscheinlichkeit auch Aids haben werden. Man bedauert das, aber man verhindert auch nicht, daß diese Frauen ein Kind kriegen.
Welche Bedeutung hat das Lebensalter?
Das Klimakterium ist ein elastischer Begriff. Es gibt Frauen, die erst nach dem 50. Lebensjahr, und Frauen, die lange vorher ins Klimakterium kommen. Aber eine Mittvierzigerin heute hat in jedem Fall nichts gemein mit einer Mittvierzigerin von der Jahrhundertwende. Am Jahrhundertbeginn hatten wir im Westen eine Lebenserwartung von 60 Jahren. Wir gewinnen jährlich drei Wochen Lebenserwartung dazu. Das bedeutet, daß wir in zehn oder zwanzig Jahren 90 oder 100 Jahre alt werden. Heute warten die jungen Frauen sehr viel länger, bis sie ihr erstes Kind kriegen. Die Jugend zieht sich in die Länge. Man gilt noch bis zum 25., sogar 30. Lebensjahr als jugendlich. Das mittlere Lebensalter geht heute vom 30. bis zum 60. Lebensjahr, teils bis zum 65. Das Rentenalter zieht sich ebenfalls in die Länge. Wenn man heute gesetzlich festlegt, daß eine Frau im Klimakterium keine Kinder mehr haben darf, ist das absurd, weil in zwanzig Jahren eine Mittvierzigerin so sein wird wie eine Vierzigerin heute.
Soll der Staat die Reproduktionswissenschaftler also frei schalten und walten lassen?
Was das Recht auf Fortpflanzung betrifft, hat der Staat kein Recht, sich einzumischen. Es ist die Frau, die letztlich entscheidet.
Sehen Sie keine Gefahren, wenn der gesetzlose Zustand beibehalten würde?
Ich glaube, man muß es dem Gewissen jedes einzelnen überlassen zu entscheiden. Ich sehe die Gefahren. Ich gehöre nicht zu denen, die sagen, wir machen Kinder, wie die Leute sie wollen. Freie Auswahl von Geschlecht, Augenfarbe, Haarfarbe. Das ist absurd. Ich glaube, da gibt es keine Nachfrage der Öffentlichkeit, das sind historische Phantasmen, die uns einholen.
Gibt es historische Parallelen für ein Gebärgesetz?
In den faschistischen Staaten. Der Lebensborn ist so ein Beispiel. Im Moment gibt es das in China.
Woher kommt in Frankreich der Drang zu einer solchen Gesetzgebung?
Ich glaube, daß die schwere Krise in Frankreich, wie auch in anderen Ländern Europas, zu unglaublich rückschrittlichen Positionen führt. Die Franzosen haben Angst. Sie haben Angst vor Ausländern, vor der Forschung, vor dem Neuen und Fremden, vor allem, was sie nicht gewohnt sind. Auch die Journalisten schreien nach Grenzen. Das große Phantasma der Franzosen ist, daß man Angst hat vor einem verantwortungslosen Politiker. Einem, der die Fortpflanzung für politische und rassistische Zwecke ausnutzen könnte. Ich glaube, wenn ein neuer Hitler kommen sollte, würde ihn kein Gesetz hindern.
Bisher galt als unumstößlich, daß Frauen nur zeitlich begrenzt fortpflanzungsfähig sind, während Männer bis ins hohe Alter hinein Kinder zeugen können. Kann es sein, daß auch die Angst von Männern, diese exklusive Macht zu verlieren, eine Rolle spielt?
Das ist möglich. Aber das geschieht nicht auf einer bewußten Ebene. Ich nehme sehr wohl wahr, daß es eine Abneigung gegen Frauen in den Wechseljahren gibt – im Diskurs von Männern, aber auch von manchen Frauen. Das ist etwas Unglaubliches. Eine Frau nach den Wechseljahren ist für viele Männer ein Objekt ohne Interesse – beraubt ihrer Sinnlichkeit, keine richtige Frau mehr. Wenn sie sich nun vorstellen, daß Frauen nach den Wechseljahren einen Embryo tragen, dann finden sie das degoutant. Eine symmetrische Macht von Frauen gefällt ihnen vielleicht nicht. Das ist aber nichts, was offen auf dem Tisch liegt. Ist das nun eine Frage von Macht? Ich kann es nicht ausschließen, wenn ich Männer höre, wie sie es völlig normal finden, daß ein Mann von 65 Jahren, wie Yves Montand, sein erstes Kind hat. Ein Mann kann sich so was also erlauben. Mit jungen Frauen, versteht sich. Interview: Dorothea Hahn
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