: Verbändedemokratie –betr.: „Von Mündigkeit und Herzensbildung“, taz-Hamburg vom 9.3.98
Der Initiative „Mehr Demokratie“ist in Hamburgs Süden etwas vorausgegangen, was sich jetzt dem Wesen nach in dem vorliegenden Gesetzentwurf dieser Initiative zu Volksbegehren und Bürgerentscheiden wiederfindet.
Der „Solidarkreis der Siedlerverbände“, gebildet aus fast sämtlichen Unterstützern von „Mehr Demokratie“aus dem Süden und gegründet unter anderem von Manfred Brandt, hatte sich als politische Kraft formiert und wollte, in offener Konkurrenz zu den legitimierten politischen Gremien, ganze Politikfelder besetzen, um endlich das „Planungschaos im Hamburger Süden zu beseitigen“. Inhaltlich hieß das unter anderem die Forderung nach Bau der A 20, der Hafenquerspange, Ablehnung der Deichrückverlegungen, Einflußnahme auf Bauleitplanung bis hin zur Gründung des Nordstaates. (...)
Das ganze sah sehr nach reiner Interessenpolitik von Wirtschafts- und Verkehrsverbänden bzw. typischer FDP-Klientel aus. Manfred Brandt hat als Sprecher des „Runden Tisches Moorburg“versucht, die Behandlung des Themas Moorburg auf diesen Kreis zu verlagern, es also aus dem Ort herauszunehmen und somit von den Bürgern im Ort zu entfernen.
Da seine These „Moorburg mit dem Hafen entwickeln“von den Moorburger Bürgern abgelehnt wurde, hat er sich von den Verbänden wohl mehr Unterstützung versprochen. Dazu paßt, daß er ebenfalls in seinem Satzungsentwurf zum „Runden Tisch Moorburg“vorgeschlagen hatte, die Mitglieder des „Runden Tisches“nicht von den Bürgern wählen, sondern sie von den in Moorburg präsenten Verbänden und Vereinen delegieren zu lassen.
Ich halte den von „Mehr Demokratie“vorgelegten Gesetzentwurf zu Volksbegehren und Bürgerentscheiden für den Versuch, diesen in Verbänden u.ä. organisierten politischen Kräften zu einem Instrument zu verhelfen, das es ihnen ermöglicht, relativ einfach, kalkulierbar und manipulierbar ihre Interessen durchzusetzen. So, wie dieser Entwurf aufgebaut ist mit seinen niedrigen Zugangsvoraussetzungen und fehlenden Quoren bei den Abstimmungen, braucht man in der Tendenz keine breite Öffentlichkeit herzustellen. Verbände u.ä. mit gleicher Interessenlage können in ihren eigenen Reihen die Unterschriften sammeln und mobilisieren. Die richtige Medienbegleitung dazu macht das (besonders in den Bezirken) fast zum Selbstgänger.
Auf dieser Ebene auch die Verfassung zur Diskussion zu stellen, halte ich schlichtweg für naiv und gefährlich.
Rainer Böhrnsen, Die Moorburg
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