piwik no script img

■ VW führt die Viertagewoche einMorgenluft in der Krise schnuppern

Die Einigung über die Einführung der Viertagewoche bei VW ist höchst bedeutsam. Nirgendwo sonst in der jüngsten Vergangenheit haben sich die Tarifparteien so mächtig bewegt wie in den vergangenen Wochen. Nirgendwo sonst zeigte sich so deutlich, daß unter dem Druck der Krise auch ungewöhnliche Lösungswege gefunden werden können. Und schnell begangen werden, schnell und ohne den üblichen, gähnend langweiligen Schlagabtausch, der die Verhandlungen der Tarifparteien allzu oft kennzeichnet.

Die Arbeitgeber gehen mit dem Abschluß ein ungewöhnlich hohes Risiko ein: Mit der Garantie, von betriebsbedingten Kündigungen abzusehen, machen sie ein bislang einmaliges Zugeständnis, das sozusagen ans Allerheiligste des Unternehmertums rührt. Zwei Jahre lang auf betriebsbedingte Entlassungen zu verzichten ist eine starke Einschränkung – auch wenn im Fall der allergrößten Notfälle ein solcher Beschluß wieder in Frage gestellt werden kann. Die IG Metall wiederum akzeptiert zum erstenmal offen den Lohnverzicht. Auch dies ein Bröckeln am Allerheiligsten, dem Erhalt von Besitzständen durch die Gewerkschaften nämlich.

Der Druck zur Einigung war ungeheuer groß – und nur so konnten die üblicherweise verhärteten Fronten der Tarifparteien so schnell durchbrochen werden. Wer am Ende der wirkliche Gewinner dieser Arbeitszeitverkürzung ist, wird sich noch zeigen. Die muffligen bis abweisenden Reaktionen der Arbeitgeber zeigen aber, daß gegenwärtig vor allem ihnen angesichts der neuen Entwicklung die Hose flattert. Sie ahnen, daß im VW-Abschluß ein starkes künftiges Ideenpotential lauert, mit den massiven Beschäftigungsproblemen hierzulande auch mal anders als bisher umgehen zu können. Deswegen auch die gebetsmühlenartig wiederholten Aussagen, das Modell sei nicht übertragbar, VW ein Sonderfall. So einzigartig aber kann ein Modell nicht sein, mit dem 30.000 Arbeitsplätze gerettet werden sollen. Denn schließlich gehen in der ganzen Metallbranche pro Monat ebenso viele Jobs verloren. Handlungsdruck bestünde also eigentlich auch hier.

Nein, die Versuche der Arbeitgebervertreter und konservativer Teile der Politik, neue Vorschläge abzuwürgen, kommen auch aus der Angst vor dem utopischen Gehalt der Idee einer Umverteilung von Beschäftigung durch Arbeitszeitverkürzung. Denn diese Entwicklung greift gleich zwei Werte der Erwerbsgesellschaft an: das Loblied auf die Arbeit als eigentlichem Sinn des Lebens und das Loblied auf den Konsum als angemessenes Verhalten in der Wegwerfgesellschaft. Werte übrigens, die auch für den Machterhalt der Gewerkschaften durchaus von zentraler Bedeutung sind. Ein Grund, warum der Gewinn von Freizeit durch das VW-Modell von ihnen auch nicht thematisiert wurde.

VW befindet sich in einer Zwangslage, und die Belegschaften aus Wolfsburg sind alles andere als Helden, das ist klar. Trotzdem läßt die Einigung bei VW diejenigen, die nach neuen Entwicklungen für eine bröckelnde Wohlstandsgesellschaft suchen, ein bißchen Morgenluft schnuppern. Jetzt haben die Leute halt etwas weniger Geld und ein bißchen mehr Zeit. Mal sehen, was passiert. Barbara Dribbusch

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen