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Archiv-Artikel

VOR ALLEM BESTEHT SCHLESWIG-HOLSTEIN AUS – GRAS. WAS SOGAR DIE BEMERKEN, DIE DAS LAND MIT SASCHA HEHN ALS KAPITÄN DURCHQUEREN. DIE ANDEREN FAHREN RAD, IMMER GERADEAUS Ein Traum von Kanal

Foto: Lou Probsthayn

KATRIN SEDDIG

Was ist eigentlich ein Traumschiff? Ein Traum von einem Schiff? Ein Schiff wie aus einem Traum oder ein Schiff wie „Das Traumschiff“ aus dem ZDF, mit Sascha Hehn als Kapitän? Und wie konnte dieser Traum von einem Begriff Einzug in den normalen Sprachgebrauch halten? „Traumschiffe, die scheinbar mühelos durch die grünen Wiesen Schleswig-Holsteins gleiten“, heißt es beim NDR über die zunehmende Beliebtheit der Kreuzschifffahrtsroute durch den Nord-Ostsee-Kanal. Mehr als hundert Passagen von mehr als achtunddreißig Schiffen seien in diesem Jahr gemeldet, der Nord-Ostsee-Kanal erfreue sich zunehmender Beliebtheit.

Der Nord-Ostsee-Kanal ist so gerade wie eine Autobahn und fast genau so romantisch. Knapp hundert Kilometer lang und 1895 von Kaiser Wilhelm eingeweiht, verbindet er die Nordsee mit der Ostsee, Brunsbüttel mit Kiel. Schleswig-Holstein ist vergleichsweise dünn besiedelt, von Kühen und von Menschen, der größte Arbeitgeber ist die Bundeswehr. Die Landschaft besteht aus Geest und Marsch und ein bisschen Hügelland. Vor allem besteht Schleswig-Holstein aus Gras. Wenn also all diese Traumschiffe mit Sascha Hehnen als Kapitänen diese interessante Strecke entlangfahren, dann können sich die Passagiere zwischen sechs und acht Stunden das Gras ansehen. Die ein oder andere Kuh. Mal eine Brücke. Und immer geradeaus. Von ganz oben, vom siebenten Stock aus. Blick über das Land.

Andersherum kann sich der Schleswig-Holsteiner auch von der Wiese aus, oder von der Brücke aus, am Traumschiff erfreuen. Ich selbst habe schon am Nord-Ostsee-Kanal gestanden und das getan. Es ist so, als käme auf der Wiese eine Stadt vorbei, und wenn die Stadt erst mal weg ist, bleibt eine kleine Leere zurück, die aber auch schön ist, wenn man die Leere schätzt und die Stadt nicht so sehr. Ich bin ein großer Freund von Schleswig-Holstein, von den Kühen und der Leere, ich schätze weniger die Bundeswehr und ich gestehe, den Kanal finde ich in seiner Geradheit etwas brutal. Aber das haben Kanäle so an sich. Sie schneiden sich gerade und zweckgebunden durch die Landschaft und stören den natürlichen Lauf von zum Beispiel anderen, kleinen Flüssen, wie zum Beispiel der Eider. Aber die anderen kleinen Flüsse müssen sich dem Verkehr unterordnen, wir müssen das schließlich auch, wenn unser Haus zufällig irgendwo steht, wo dann später eine Autobahn hingebaut wird. So ist das halt, Leben im Kapitalismus.

Und dennoch Romantik. Romantik auf der Autobahn, der „Kraftwerk“ als deutschester aller Straßen einst ein musikalisches Denkmal setzten. Romantik auf dem Kanal zwischen Brunsbüttel und Kiel. Romantik frei vom Detail, frei vom Verspielten, Schönheit im Zweck, umweglose Geradheit, kapitalistische Zielstrebigkeit, Handel und Tradition, Triumph über die Wiese, wir sind bewegt und finden euphemistische Wortgruppen.

Neben dem Kanal kann man Fahrrad fahren. Manche Schiffe fahren auch schon viel umweltfreundlicher. Immerhin machen sie keinen Lärm. Die Kinder finden das schön. Die Werften sichern Arbeitsplätze. Neben dem Kanal kann man Fahrrad fahren. Sehr weit, immer geradeaus. Immer neben dem Kanal her. Sagte ich schon, dass man neben dem Kanal Fahrrad fahren kann?

Ein Traumschiff soll angeblich auf einer Reise so viel Schadstoffe ausstoßen wie fünf Millionen PKWs auf derselben Strecke. Es soll das Meer überdüngen und die Böden versauern lassen. Es soll die Atemluft mit Rußpartikeln belasten und für Todesfälle von Küstenbewohnern verantwortlich sein. Die Rußpartikel sollen ähnlich krebserregend sein wie Asbest.

Und da stehen wir, zwischen Romantik und Ekel, zwischen Tradition und Erkenntnis und wir wissen, dass wir nie, nie da rauskommen. Und dass es Traumschiffe einfach nicht gibt.Katrin Seddig ist Schriftstellerin in Hamburg, ihr jüngstes Buch, „Eheroman“, erschien 2012. Ihr Interesse gilt dem Fremden im Eigenen