VON TRICKDIEBEN UND ANDEREN KÜNSTLERN : Jeder Berliner ein Trickster
VON HELMUT HÖGE
Das Erste, was mir 2011 auffiel, war ein Spot im U-Bahn-Fernsehen: „Beware of Trickster!“ Er sollte die Leute warnen, dass niemand ihre Daten klaut, wenn sie auf dem U-Bahnhof einen Bankautomaten benutzen. In den letzten Monaten hatte ich mich gerade mit „Trickstern“ befasst. Der Feministin Donna Haraway galt der Trickster geradezu als Modellfigur für das Überleben im Widerstand gegen eine feindliche Umwelt. Die Autorin wurde viel gescholten, weil sie sich dabei auf die Natur in ihrer „Eigengesetzlichkeit“ und auf die „Widerständigkeit des Nichtmenschlichen“ beziehungsweise Nichtgesellschaftlichen berief – und das mit dem „Trickster“ illustrierte: einer halbmythischen Figur in agrarisch-nomadischen Gesellschaften, mal Schelm, mal Tölpel, der sich durch „Unberechenbarkeit und permanente, kojotenhafte Verwandlungen auszeichnet“. Nach ihr veröffentlichte der Ethnologe Alexander Knorr eine Doktorarbeit über „Metatrickster“ – etwa den Schamanenschriftsteller Carlos Castaneda. Ihm ging es dabei um deren immer neue Wandlungen, die bisweilen einem Herauswinden gleichen.
Der Soziologe Michel de Certeau versucht demgegenüber den anonymen „Man on the Street“ (MOS) als urbanen „Trickster“ zu begreifen. Wobei er einerseits die Totalität der Lebensverhältnisse in unseren heutigen „elektronisierten und informatisierten Riesenstädten“ als eine Besatzungsmacht herausarbeitete und andererseits den vereinzelten Konsumenten darin als Partisan des Alltagslebens darstellte. Dieser muss nämlich ständig versuchen, „die unendlichen Metamorphosen des Gesetzes der herrschenden Ökonomie in die Ökonomie seiner eigenen Interessen und Regeln ‚umzufrisieren‘ “. Seine Mittel sind dabei „ortlose Taktiken, Finten, eigensinnige Lesarten, Listen …“ Bereits der Kriegstheoretiker Clausewitz verglich die List mit dem Witz: „Wie der Witz eine Taschenspielerei mit Ideen und Vorstellungen ist, so ist die List eine Taschenspielerei mit Handlungen.“ Für Certeau sind „die Handlungsweisen der Konsumenten auf der praktischen Ebene Äquivalente für den Witz“. Wobei die intellektuelle Synthese ihrer Alltagspraktiken nicht Diskursform annimmt, sondern „in der Entscheidung selbst liegt, d. h. im Akt und in der Weise, wie die Gelegenheit ‚ergriffen wird‘ “. Dennoch lassen sich diese Leistungen auf sehr alte Kenntnisse zurückführen: „Die Griechen stellten sie in der Gestalt der ‚metis‘ dar. Aber sie reichen viel weiter zurück, zu den uralten Intelligenzien, zu Finten und Verstellungskünsten von Pflanzen und Fischen, Jägern und Landleuten. Vom Grunde der Ozeane bis zu den Straßen der Megapolen sind die Taktiken von großer Kontinuität und Beständigkeit. In unseren Gesellschaften vermehren sie sich mit dem Zerfall von Ortsbeständigkeit.“
Deswegen darf die Warnung vor „Trickstern“ im U-Bahnhof nicht wundern. Ohne die Möglichkeit, den immer engmaschigeren Systemen zu entkommen, bleibt dem Individuum laut Certeau „nur noch die Chance, sie immer wieder zu überlisten, auszutricksen – ‚Coups zu landen‘ “. Am Ende geht es um „Lebenskunst“, wobei die partisanischen Tugenden dazu dienen, im Dschungel der Interessen und Informationen individuell – und sogar erfolgreich – zu bestehen.
Auch Künstler nehmen sich inzwischen dieses Themas an, etwa der „Bundesverband Schleppen & Schleusen“. Michel Foucault hatte 1988 gemeint: „Was mich erstaunt, ist, dass in unserer Gesellschaft die Kunst nur noch eine Beziehung mit den Objekten und nicht mit den Individuen oder mit dem Leben hat, und auch, dass die Kunst ein spezialisierter Bereich ist, der Bereich von Experten, nämlich den Künstlern. Aber könnte nicht das Leben eines jedes Individuums ein Kunstwerk sein?“ Vor einigen Jahren fand auf dem Pfefferberg eine „Messe über Geldbeschaffungsmaßnahmen“ zwischen „Tricks und Kunst“ statt. Schön, dass sich jetzt auch die BVG Gedanken über „Trickster“ macht.