VOGELGRIPPE IN DER TÜRKEI: ARMUT UND IGNORANZ FORDERN TODESOPFER : Glaubwürdig durch Entschädigungen
Zwei tote Kinder – erstmals hat die Vogelgrippe an der europäischen Peripherie Opfer gefordert. Es ist kein Zufall, dass das Grippevirus ausgerechnet hier tödliche Folgen hatte, sondern das Ergebnis von Armut und Ignoranz. Die gefährdeten Menschen können sich kaum vorstellen, dass ausgerechnet ihre Hühner, mit denen sie schon immer auf engstem Raum zusammenlebten, eine tödliche Gefahr sein können. Daran ändern auch Aufklärungskampagnen im Fernsehen nicht so schnell etwas. Selbst seit jetzt auf jedem türkischen Fernsehkanal die Gefahr direkter Kontakte zu den Hühnern beschrieben wird, sind noch Leute zu sehen, die verständnislos ihr Federvieh im Arm halten, bis sie es den in Schutzanzügen vermummten Vertretern der Behörden übergeben.
Dies weist auf den zweiten Punkt. Nicht jeder will sein möglicherweise infiziertes Federvieh der Vernichtung preisgeben. Die dafür gezahlten Entschädigungen sind geringer als der Marktpreis, und für viele arme Familien in den Bergen im Osten der Türkei sind ihre Hühner unverzichtbarer Bestandteil des Speiseplans. Wie sollen sie ohne diese über die Runden kommen?
Auf die türkischen Behörden kommt eine schwere Aufgabe zu. Sie müssen tausende von Dörfern in teilweise nur schwer zugänglichen Bergregionen durchkämmen und nach infiziertem Geflügel suchen. Es geht nicht darum, Geflügelfarmen zu schließen, sondern Kleinbauern in Subsistenzwirtschaft zu erklären, dass es zu ihrem Besten ist, sich ihren Hühnern nur noch mit Handschuhen und Mundschutz zu nähern, um sie dann bei Sammelstellen zur Vernichtung abzugeben. Es ist die tragische Ironie dieser Seuche, dass sich ausgerechnet diese vorindustrielle, ökologische Form der Tierhaltung als tödliche Gefahr entpuppt.
Armut und Ignoranz sind nicht in wenigen Tagen zu beseitigen. Nötig sind vorbeugende Impfungen und eine Öffentlichkeitsarbeit, die auf die bisherigen bäuerlichen Gewohnheiten eingeht. Vor allem aber bedarf es ordentlicher Entschädigungen. Richtig glaubwürdig wird die Gefahr erst durch Geld. JÜRGEN GOTTSCHLICH