■ VLB: Bluthunde & Ponies
Nancy Mitford wird mittlerweile auch hierzulande für ihren bösen Witz geschätzt. Die Sammlung kleinerer Arbeiten, mit denen der Eichborn Verlag jetzt die Verbreitung ihres Werks fortsetzt, zeigt noch einmal musterhaft, daß sie damit keineswegs sich selbst und die Ihren schonte. In einer „autobiographischen Skizze“, die Mitford für ein amerikanisches Literaturlexikon schrieb, heißt es: „Mein Vater war der zweite Sohn eines englischen Peers; meine Mutter war eine Schönheit. In England bekommen nachgeborene Söhne kein Geld, und so wurde ich in einem armen Londoner Slum geboren. Da mein Vater unbedingt sieben Bluthunde und ein Pony zum Reiten für mich halten wollte, herrschte ein ziemliches Gedränge.“ In seinem instruktiven Nachwort klärt Reinhard Kaiser über die wahren Verhältnisse auf – von Slum kann keine Rede sein –, und man ahnt den Spaß, den Nancy Mitford hatte, als sie mit den amerikanischen Erwartungen an englische Exzentrik spielte. Ein paar Zeilen weiter heißt es in ihrem Bildungsroman en miniature: „Ahnungslos wie eine Eule wuchs ich auf, wurde in London in die Gesellschaft eingeführt und besuchte zahllose Bälle. (...) Sehr bald wurde ich ein intellektueller Snob. Ich versuchte mich selbst zu bilden, las sehr viel und schrieb einige mittelmäßige Romane.“ Das mit der Eule stimmt nicht, das mit dem Snobismus allerdings schon, während die Romane teilweise viel mehr als Mittelmaß sind.
Andere Passagen dieser verstreuten Texte lassen ahnen, daß der wunderbare Mitfordsche Sarkasmus nicht ohne Schmerzen erkauft wurde, etwa wenn Nancy in den Erinnerungen an ein Hausmädchen von der extremen Distanziertheit spricht, die in ihrem Elternhaus herrschte: „Was also tat meine Mutter den ganzen Tag? Wenn man sie heute ins Kreuzverhör nimmt, sagt sie, sie habe für uns gelebt. Vielleicht hat sie das wirklich, aber niemand könnte behaupten, sie habe mit uns gelebt. Das war damals auch nicht üblich. (...) In jener Zeit blieb immer eine Distanz. Meine Mutter muß allerdings ungewöhnlich distanziert gewesen sein. Einmal kam Unity zu ihr in den Salon gestürzt, wo sie an ihrem Schreibtisch saß, und rief: ,Muv, Muv, Decca steht auf dem Dach – sie sagt, sie will Selbstmord begehen!‘ – ,Ach, Schätzchen‘, sagte meine Mutter, ,ich will doch hoffen, daß sie so etwas Schreckliches lieber läßt‘, und schrieb weiter.“
Eine kleine Bemerkung des Hausmädchens Blor gegenüber Unity, Nancys verrückte Schwester, die in den dreißiger Jahren in heftiger Liebe zu Adolf Hitler entbrannte und es auch schaffte, in seine Nähe zu geraten und sein Vertrauen zu gewinnen, enthält den ganzen Theweleit in nuce: „Mir wäre es lieber, du würdest nicht andauernd nach Deutschland fahren, Liebling.‘ ,Aber warum denn nicht, Blor?‘ Schnauf. ,All diese Männer!‘ Wie hätte man Hitlerdeutschland treffender kennzeichnen können?“
Nancy Mitford: „Noblesse oblige. Böse Gedanken einer englischen Lady“. Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser. 198 Seiten, geb., 29,80 DM.
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