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■ VLBAnti-Antiliberaler

Die Vorstufe eines Kapitels dieses Buchs kannte ich in Form eines selbständigen Essays üner Leo Strauss, den Nestor des Antiliberalismus im amerikanischen politischen Denken. Stephen Holmes porträtiert darin den Kult des „Straussianismus“. Der 1973 verstorbene Strauss, ein deutsch-jüdischer Emigrant, der seine Studenten mit der These verblüffte, Toleranz sei gefährlich, und die Aufklärung selbst, nicht erst ihr Scheitern, habe Hitler den Weg bereitet. Holmes' in diesem Buch enthaltene erweiterte Ausführungen zu Strauss‘ wild gemischter Lehre aus Elitedenken, Antihedonismus, Heideggerei und Wissenschaftsfeindlichkeit ist als exemplarische Studie über die Inkonsistenz des Antiliberalismus zu empfehlen.

Auch zu Carl Schmitt und dem Patron der Schule, Joseph de Maistre, hat Holmes Erhellendes zu sagen. Wenn er allerdings dann auch noch darangeht, mindere Autoren wie Alasdair MacIntyre, Christopher Lasch und Roberto Unger Zeile um Zeile zu widerlegen, lappt die Sache doch sehr ins Gesundbeterische. Sind deren antiliberale Theorien denn überhaupt durch Widerlegung zu entkräften? Was hilft es, einer Denkschule ihre immer wiederkehrenden inneren Widersprüche vorzurechnen, wenn vieleicht gerade diese Widersprüche die Attraktivität für ihre Anhänger ausmachen?

Den Kern des antiliberalen Denkens, die Vorstellung, daß die moderne Gesellschaft wie ein Parasit von Sinnressourcen zehrt, die sie selber nicht wieder bereitstellen kann, ist – wie alle tiefsitzenden Schuldgefühle – überhaupt nicht einfach zu widerlegen. Man müßte schon eine andere Erzählung (Gesellschaftstheorie) an die Stelle des Mythos von der Ungnade der späten Geburt setzen. Eine solche Erzählung darüber, „daß eine in Funktionssysteme differenzierte Gesellschaft auf Autorität und Repräsentation verzichten muß ... und dies nicht, wie die Traditionalisten befürchten, auf Ordnungsverzicht hinausläuft“ (Niklas Luhmann), bleibt Holmes‘ schuldig und sein Buch daher sehr blaß.

Stephen Holmes: „Die Anatomie des Antiliberalismus“. Aus dem Amerikanischen von Anne Vonderstein. Rotbuch Verlag, 515 Seiten, 58 DM

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