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VILLAGE VOICEKeine Klischeetürken

■ Zwischen Pathos, Parodie und Independent-Approache: Turkish Delight und ihre LP »Cavuskar«

Ein Bekannter, der in SO36 bereits seit den ersten Häuserkämpfen beheimatet ist, weiß, was auf der Straße schiefläuft: »Wir haben uns im Kiez ohne jegliches Interesse für die Nachbarn eingenistet, eben ganz Besetzer. Die türkischen Mitbewohner waren als Dönerbudenbesitzer und Gemüsehändler okay, aber um deren Kultur hat sich keiner gekümmert. Wir hätten vielleicht türkisch lernen sollen. Heute lebt man unter Fremden in der sogenannten Kreuzberger Mischung zusammen, und nur der Ärger wächst.« Von der anderen Seite kommt dem einsichtigen Kollegen ein türkischer Musiker entgegen, dessen Wellenlänge vom gleichen Sound bestimmt wurde, zu dem auch der Autonome gern in die Luft springt. Punk verbindet.

Es dauert, bis man sich in das Crossover aus arabischen Melodiefolgen und Garagengitarren einfindet, wie sie sich bereits im Opener überlagern. In »Neit, Cabrushma-Ha Samahoi« setzt die magnetische 2/4- Snare erst unendlich spät ein, überläßt den Hörer so lange den Geräuschen eines orientalischen Marktplatzes, als wollte Örhan Seyfi Celik alias Turkish Delight die bunt-bäuerlichen Klischees cineastisch im Panoramablick ausweiten. Der Marktlärm scheint tatsächlich von der Tonspur eines Films zu stammen. Danach wird die Kulturencollage weniger durchsichtig.

Turkish Delight wandert auf einem äußerst schmalen Grad zwischen Pathos und Parodie. Di A Lemasol setzt mit tief-brodelndem Killing-Joke-Baß düstere Akzente, die der Sänger wiederum unterwandert. Der Zugang zur Gruft wird von einer manischen Stimme verstellt, in der das Kinderliedchen exorzistisch umzuklappen scheint. Auf beiden Seiten des Spiegels trifft man böse Dinge im Widerstreit mit den Idealen.

Eines davon ist die Liebe, von der Örhan in »Saburié« singt. Der Gesang rührt ans Herz wie sonst nur in den dramatischsten Kitschromanzen auf TD1, während Beat und Gitarre dazu unbarmherzig harte Psychedelia spielen. Wieder überlagert eine Bildwelt den gehörten Eindruck. Von daher wundert es wenig, daß Turkish Delight gerade zu diesem Song ein Video gedreht haben, das die Parodie auf die Spitze treibt: Örhan, wie er sich, als türkischer Schlagersänger verkleidet, über den Schnulz seiner Heimat lustig macht, andererseits aber auch die Fremde im heimatgewordenen Deutschland darstellt. Das Bild vom Klischeetürken stimmt schon lange nicht mehr. Schnauzbart und halblange Fönfrisur haben als kulturelle Indikatoren ausgedient.

Die Auflösungserscheinungen des allesergreifenden Crossover bereiten dem Musiker andererseits auch immense Schwierigkeiten, wenn es etwa darum geht, politische Aussagen über die Türkei zu machen. »Movsak« ist ein stilles Klavierlied, dessen ursprünglicher Text gegen den Krieg gerichtet war. Doch gesungen bekäme das Lied im fremden Land einen schlimmstenfalls rührseligen Touch, der vom eigentlichen Thema völlig abweichen dürfte. Turkish Delight hat sich daher für die stumme Klage entschieden. Fast tonlos klingen Lied und Platte aus.

Die Art, in der sich »Cavuskar« den westlichen Kategorien des Independent nähert, ist verblüffend. Der Zugang zur Beschreibung des türkischen Alltags mit Folter und Faschismus läuft bloß Gefahr, von dem aggressiven Griff nach Punk, Sixties-Garagenbeat und Industrial- Anklängen verwischt zu werden. Denn bei Turkish Delight gibt es zwar eine Parodie der Kultur, nicht aber des Politischen: Pop, aber PDS-nah. Harald Fricke

Turkish Delight: »Cavuskar«, Intercord.

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