VILLAGE VOICE: Ein zahmer zweiter Aufguß
■ Barbara Thalheim hat sich für ihre neue Platte »Ende der Märchen« einige ihrer Lieder verrocken lassen
Wenn gar nichts mehr geht, vereinigt sich der Osten. Barbara Thalheim hat sich auf alte Kameraden besonnen. Zwar ist ihr das Rockige recht wesensfremd, aber auf Initiative ihrer Plattenfirma und unter tätiger Mithilfe der Ostberliner Band Pankow überschreitet sie mutig ihre Grenzen. Vorbei die Zeit von Konzertgitarre und Streichquartett. Der »Prinz steht an nach Levis- Jeans« — und Thalheim rockt dazu. Gemeinsam mit Pankow konstatiert sie das »Ende der Märchen« — für die Liedermacherin auch das Ende des Privilegs, aus der obersten Etage eines Fünf- Sterne-Hotels den Leuten zuzugucken, die »wie Maschinen ihre Kreise ziehn«, das Ganze in Lieder zu verpacken und diese dann gelegentlich im Westen zu verbreiten.
Nachdem sich der Nebel staatlicher Förderung also gelichtet hat, kann endlich auch Frau Thalheim klar sehen und per Pressetext zu Protokoll geben: Die Diktatur »ließ Politbarden in Fesseln tanzen«. Auch sie habe »zwischen Duldung und Verbot« gelebt, und weil sie nicht gestorben ist, dichtet Thalheim zur Abwechslung an ihrer Biografie. Zweck der Übung ist es, den Jeans- Prinzen und -Prinzessinnen angegilbte Ost-Kultur zu verkaufen. Motto: »Der Osten lebt, eine Mentalität, eine Kunst, eine andere Sicht, der Osten lebt, sonst wär's ja langweilig« (Pressetext). Deshalb durfte Pankow im Thalheimschen Titelfundus wühlen und nach erfolgter Sichtung im Studio eine Begleitmischung anrühren.
Allein, das Projekt gerät zwischen Liedermachergeklimper und Rock ins Stocken. Die zu »Songs« mutierten Verslein lassen Geschichten vor dem geistigen Auge ablaufen, wie das Leben sie schrieb — von Adoleszentin und Durchboxertyp, Sonntagsträumerin und starker Frau. Die Stereotypen sind verpackt in Hymne, Elegie und reminiszenzschwangere Ballade, allesamt vorgetragen in moderatem Tempo und gefällig untermalt. Ergänzend dazu stecken im Begleitheft ein paar triefende Prosatexte aus dem Land, das laut Thalheim »langsam, aber sicher in der Geschichte versank«. Journalisten sind angehalten, die spärlichen Zensurtrophäen zu verbreiten, eingeheimst mit den Liedern, die »fast ein Jahrzehnt in der Schublade lagen.«
Die meisten Titel aber verbrachten die achziger Jahre gar nicht in Schubladen, sie dudelten munter aus dem Radio und waren im Schallplattenladen zu haben. Andere Leute geben nach so viel Erfolg eine Greatest-Hits-Sammlung heraus. Nicht so Barbara Thalheim. Die von Pankow gewählten Songs passen, welch Zufall, erstaunlich gut zur ostdeutschen Befindlichkeit. Wie vorausschauend war doch die Idee mit den Levis-Jeans, und auch die »Sehnsucht nach der Enge« aus dem Lied von der Schönhauser Allee weckt das Heimweh nach der guten alten Zeit.
Warum aber werden die alten Platten nicht einfach neu aufgelegt, sondern als Experiment verkauft? Auch wenn »Kinder der Nacht« mit Mundharmonika und Waschbrett in der Begleitung ein bißchen rassiger klingt: Die träge vor sich hinplätschernden Riffs zu Liedern, die Fans längst auswendig können, haben gerade so viel Experimentalcharakter wie Arbeiterkampflieder im Opernchorgewand. Hie kommen die Drums über die ewigen Triolen nicht hinaus (»Valentin«), da ersäuft ein Stück Polyphonie im Vibrato von Hammond-Orgel und Zupfinstrumenten (»Drachenlied«). Chorusverstärkte Refrains plustern entweder beiläufige Poetik auf (»Kinder der Nacht«) oder streichen beschwörend Textpassagen heraus: »Endlich eine/mit Wut/Endlich eine/ Nicht immer gut«. Message ist angesagt.
Der zahme zweite Aufguß von dem, was vormals Feuilletonweisheiten ersetzte, ist heute schlicht überflüssig und selbst als Dokumentation aus versunkenen Zeiten nicht brauchbar. Schon weil die Veteranen vom Singeklub der NVA-Einheit »Schlesinger« fehlen, die einst mit ihr die (in der Thalheim-Diskografie vergessene) Pionierliedersammlung »Wenn die Neugier nicht wär'« eingespielt haben.
»Wir sind Kinder der Nacht und Kinder des Ostens« — dies ist Barbara Thalheims Variante einer Sentenz, die ursprünglich »Ich bleib immer die aus'm Osten« hieß, von Wolf Biermann stammt und für Eva-Maria Hagen bestimmt war. Mittlerweile ist das Diktum in ungezählten Abwandlungen zum verlogenen Trotz- und Trostspruch einer ganzen Künstlergruppe geworden, die teils mißmutig, teils zweckoptimistisch in Erinnerungen kramt. Ob Bettina Wegner in jährlicher Wiederkehr die gleiche Zusammenstellung oller Kamellen als Liveprogramm abliefert oder Barbara Thalheim aus ihren Langspielplatten jeweils ein Stückchen herausnimmt, um es verrocken zu lassen — die Misere ist die gleiche: Schaffenskrise. Friederike Freier
Barbara Thalheim und Pankow: »Ende der Märchen« (Deutsche Schallplatte Berlin)
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen