VILLAGE VOICE: Die Kehrseite des Kulturimperialismus
■ »Howl!« von Loup Garou und »Matchbox Motorway« von Prussia
Epigonen gibt es viele, vor allem in Deutschland. Aber selten adaptieren sie so überzeugend wie Loup Garou. Die haben zwar einen französischen Namen, der »Werwolf« bedeutet, widmen sich aber mit viel Liebe und Gefühl der weißen amerikanischen Musik, vor allem dem Country und den daraus folgenden Stilen. Der Eröffnungssong der LP »Howl!« (»Surrender«) ist ein fröhlich fiddelnder Hillbilly, »Too Sweet« könnte auch vom mittleren, leicht bösen Elvis Presley stammen, »Rolling Machine« fordert zum Square Dance auf, »Power« hat ein dunkel rockendes Blues-Riff und klingt ungefähr so, wie Hardrock das zum Ende der Sechziger. Die Hank-Williams-Coverversion »I'll Never Get Out Of This World Alive« wird zu einem staubigen Memphis-Rhythm & Blues wie von Alex Chilton, und die abschließende Ballade »Goodbye« ist ein Duett, das nicht nur durch das Zusammenspiel der weiblichen und der männlichen Stimme an wunderschöne Traditionen erinnert. Anderes weist aber auch über die sechziger Jahre hinaus, so »Belly of the Queen«, das ein Psychobilly aus den Achtzigern sein könnte.
Größte Leistung von Loup Garou ist es, diese divergierenden Elemente so zu spielen, daß sie wie von einer einzigen Band klingen: ein kleines Wunder. Loup Garou ist die erste deutsche Band seit langem, bei der kein schaler Nachgeschmack zurückbleibt. Das ist nicht die nächste große Hoffnung auf eigenständige deutsche Rockmusik, sondern das positiv verstandene Eingeständnis, daß sie nach vierzig Jahren angloamerikanischer Berieselung wahrscheinlich gar nicht möglich ist. Loup Garou haben erkannt, daß man kulturell eben nicht als Deutscher aufwächst und akzeptieren, daß das auch gar nicht erstrebenswert ist — in diesen Zeiten um so weniger. Kämen sie nicht aus West-Berlin, sondern aus — sagen wir mal — Athens, Georgia, hätten sie ohne Zweifel größere Chancen, die verdiente Aufmerksamkeit zu erlangen. Das ist dann die Kehrseite des US- amerikanischen Kultur-Imperialismus.
Wesentlich einheitlicher dagegen sind Prussia, die mit beiden Beinen fest in den Achtzigern stehen. Der Erstling der seit 1990 bestehenden Band nennt sich »Matchbox Motorway« und versucht den Spagat zwischen postpunkrockenden Elementen und einer den Sisters of Mercy zur Ehre gereichenden Düsterstimmung. Im Gegensatz zu den Gruft-Königen um Andrew Eldritch sind Prussia aber bei weitem nicht so pathetisch und haben eher den die amerikanischen Charts beherrschenden AOR (Adult Oriented Rock) aufgesogen. Wenn es nicht offensichtlich düstert, balladet und schweinerockt es, daß es eine wahre Pracht ist, auch wenn die Modulation der Stimme manchmal eher englisch maniriert daherkommt. Doch Prussia dokumentieren die übergroßen Gefühle nicht nur in übergroßen Melodiebögen und choralartigen Gitarrenwänden, sondern versuchen auch mit folkigerer Stimmung, einer Geige hier und dort und akustisch angeschlagenen Gitarren eine gewisse Abwechslung zu schaffen. Ein Stück erinnert durch Orgel-Riff und Timbre der Stimme sogar an die Doors. Doch zum Ende hin verliert die Platte ihre klare Linie, Klavierklimperrock dient anscheinend dazu, den Keyboarder zu beschäftigen.
Größtes Problem für Prussia ist, daß ihr Rock mit einem pathetischen Anspruch spielt, den die Produktion nicht einzulösen vermag. Ihre Wall of Sounds bedürften einer Monstrosität, die sie nicht vermitteln. So verhält sich diese LP zu den seligen Legenden leider wie das titelgebende Matchbox-Spielzeugauto zur Formel 1. Da hilft auch nur bedingt, daß durchaus zu erkennen ist, daß Prussia sehr wohl in der Lage wären, jene Zeiten wiederaufleben zu lassen, als allüberall das nahe Ende der Gitarre prophezeit wurde, aber statt dessen in Reaktion auf den Synthie-Pop die Renaissance des Instruments um so dröhnender einsetzte. Thomas Winkler
Loup Garou: »Howl!«, Glitterhouse/EFA
Prussia: »Matchbox Motorway«, Kitchen Records/ Dirty Harry's Records
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