VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2003: KAUM FAKTEN, WENIG TRENNSCHÄRFE : Zeitung gelesen, Pflicht erfüllt
Der islamistische Terrorismus ist die zentrale Gefahr, beim Rechtsextremismus gibt es wenig Neues, beim Linksextremismus hat man bei Lektüre des Verfassungsschutzberichtes vor allem den Eindruck, dass der Pflicht Genüge getan wurde. Überraschend ist dieser Bericht nicht. Wer an der Existenzberechtigung des Verfassungsschutzes zweifelt, kann dies mit Fug und Recht weiter tun. Vermissen lässt der Bericht beim Thema Islamismus zweierlei: Trennschärfe und Fakten. Trennschärfe, weil auch Otto Schily zu einer Rheorik neigt, in der alle Katzen grau sind. Wer islamistische Terroristen, islamistische Extremisten (die die nicht unwichtige Differenz von Tat und Wort trennt) und islamistische Organisationen wie Milli Görüs in einem Atemzug nennt, droht die Lage eher zu vernebeln. Das ist politisch falsch, weil es Unterschiede einebnet, die Demokraten im Auge haben sollten.
Die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes über Milli Görüs uninspiriert zu nennen ist untertrieben. Eine Darstellung der inneren Machtverhältnisse? Eine Einschätzung, wie ernst die rhetorisch überaus refomwillige Führung zu nehmen ist? Eine Analyse, welche Fraktionierungen Milli Görüs ins Haus stehen könnten – oder welche inneren Bindungskräfte dies verhindern? Fehlanzeige. Stattdessen hat man die üblichen Zitate aus der Zeitschrift Mille Gazete zusammengetragen. Über das Lesen scheint man in Köln mal wieder nicht hinausgekommen zu sein.
In das dürftige Bild passt, dass neue, gar konkrete Erkenntnisse über terroristische Strukturen nicht vorhanden sind. „Das Potenzial ‚arabischer Mujahedin‘ mit internationalen Verbindungen“, so der Bericht, „ist nicht konkret zu beziffern.“ Wie viel Geld und Planstellen stecken eigentlich in so einem Satz? Unterhaltsamer war bei der Vorstellung des Berichts nur Otto Schilys Deutung der NPD, die ein Fünftel ihrer Mitglieder verloren hat. Für Schily ist dies ein „Erfolg“ des NPD-Verbotsverfahrens, das 2003 katastrophal in Karlsruhe scheiterte. Die NPD sei sogar zu schwach, daraus Kapital zu schlagen. So wird das Desaster durch die Hintertür zum Sieg. STEFAN REINECKE