VERA: Nachgefragt werden darf nicht
Auch Vertreter der zweisprachigen Europaschulen kritisieren den Vergleichstest für Drittklässler. "Zu akademisch" sei er, Hilfe beim Verstehen der Aufgabenstellung gibt es keine.
Der Kritik von Lehrer- und ErzieherInnen an den Vergleichsarbeiten für Drittklässler, VERA, haben sich nun auch Lehrkräfte der zweisprachigen Europaschulen angeschlossen. Viele der bilingual unterrichteten Kinder seien diesen Tests in der 3. Klasse noch nicht gewachsen.
In einem offenen Brief an Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) hatten am vergangenen Montag über tausend GrundschulpädagogInnen die Deutsch- und Mathetests kritisiert, die seit 2007 in allen Bundesländern durchgeführt werden. Sie seien konzipiert für Kinder aus "normal geförderten Mittelstandsfamilien", heißt es in dem Schreiben. Kinder aus schwierigen sozialen Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund würden so benachteiligt.
Die deutsch-türkische Aziz-Nesin-Europagrundschule in Kreuzberg habe zwar keine schlechten Ergebnisse bei den vergangenen VERA-Tests erzielt, sagt die stellvertretende Schulleiterin Adelheid Riehm. Viele der Kinder hätten aber Probleme, Worte und Redewendungen in den Aufgaben zu verstehen. "Der Erwerb der Zweisprachigkeit ist erst mit acht oder neun Jahren abgeschlossen", so Riehm. Der Text sei deshalb für viele ihrer SchülerInnen zu früh angesetzt. In den Aufgaben verwendete Begriffe wie etwa "Losniete" seien den Kindern unbekannt: "Die müssten ihnen zunächst erklärt werden", sagt die Konrektorin. Doch während der Tests dürften die Lehrkräfte keine Fragen der Kinder beantworten. Das Nichtverstehen der Aufgaben und daraus resultierende schlechte Ergebnisse führten zu "Frustration und vorzeitigem Abschalten der Kinder", so Riehms Erfahrung.
Auch der Leiter der deutsch-russischen Europaschule, Axel Köller, bestätigt, dass SchülerInnen mit den VERA-Arbeiten Probleme hätten. Dennoch habe seine Schule im Vorjahr gute Ergebnisse erzielt, sagt Köller. Das könne daran liegen, dass die russischen Eltern sehr an Leistungskontrollen, besonders in den ersten Klassen, interessiert seien.
Martin Sand, Sprecher der Senatsbildungsverwaltung, widerspricht der Auffassung, dass die Testaufgaben für SchülerInnen frustrierend seien. Auch zweisprachige Kinder würden nicht benachteiligt: "Perfekte Bilingualität wäre, die Redewendungen in beiden Sprachen zu kennen", meint Sand. Jürgen Schulte, Sprecher der Initiative "Schulen im sozialen Brennpunkt", die den Brief an den Senator verfasst hat, hat da andere Erfahrungen gemacht. "Die meisten Europagrundschulen lehnen das Verfahren ab", sagt Schulte. Deshalb fordert er, dass die Vergleichstests nur noch auf freiwilliger Basis durchgeführt werden.
Auch an der Aziz-Nesin-Schule hält man Qualitätskontrollen grundsätzlich für sinnvoll. Das Problem sei die Konzeption des Tests: "Zu akademisch" findet ihn die Lehrerin Barbara Schindler: "Zudem müsste es Konsequenzen aus schlechten Testergebnissen geben, wie etwa mehr Förderstunden." Dann würden die Vergleichsarbeiten nicht nur unnötig Geld kosten, sondern tatsächlich helfen, die Leistungen der Kinder zu verbessern.
Marianna Mamonova Ebru Tasdemir
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