■ Ustica-Ermittler greifen zu ungewöhnlichen Methoden: Hochzeitsfotos gegen „Saratoga“
Neapel (taz) – „Die Aktion“, sagt Untersuchungsrichter Priore, „war nicht ganz einfach – nach so langer Zeit.“ Die Journalisten nicken: Wem sagt er das. 13 Jahre sind vergangen, seit am 27. Juni 1980 abends um 21.03 Uhr eine Passagiermaschine der italienischen Fluggesellschaft Itavia nahe der Mittelmeerinsel Ustica abstürzte (81 Tote), die Behörden „Materialermüdung“ feststellten und damit eine der größten Vernebelungsaktionen der Nachkriegsgeschichte in Gang setzten.
In Wirklichkeit, das steht inzwischen aufgrund vor allem journalistischer, mittlerweile aber gerichtlich bestätigter Recherchen fest, war das Flugzeug abgeschossen worden. Ein Dutzend Zeugen sind mittlerweile auf merkwürdige Weise ums Leben gekommen, 15 hohe Offiziere und Geheimdienstführer sind des Hochverrats angeklagt.
Doch Ermittlungsführer Priore meint diesmal nicht den Abschuß selbst, wenn er von „so langer Zeit“ spricht: Nein, diesmal ist er hinter Hochzeitspaaren her – wenn auch im Zusammenhang mit „Ustica“. Da noch immer nicht klar ist, wer die DC9 abgeschossen hat, und die USA hartnäckig behaupten, ihr durch die Äußerung seines damaligen Kommandanten Admiral Flaherty in Verdacht einer Mitverwicklung geratener Flugzeugträger „Saratoga“ habe sich in den Wochen um den Abschuß „nie aus dem Hafen von Neapel gerührt“, kam Priore auf die Idee, die Hochzeitsbilder all jener Paare zu konsultieren, die am 27. und 28. Juni 1980, also am Tag des Unglücks und danach, in Neapel zur Trauung schritten: Denn traditionell lassen sich die Frischvermählten dann entweder von den Höhen des Vesuvs oder entlang der Strandpromenade fürs Familienalbum fotografieren. Da müßte es doch mit dem Teufel zugehen, so Priore, wenn nicht auch die „Saratoga“, sofern tatsächlich im Hafen liegend, irgendwie mit aufs Bild gekommen wäre, groß genug war der Kahn mit 345 Metern Länge durchaus.
Der Gedanke war gut, aber eben nicht so einfach zu realisieren: Am 27. Juni haben nur fünf Paare, am 28. – Wochenende – jedoch 300 geheiratet. Doch von denen lebt kaum mehr eines in Neapel, andere wiederum sind inzwischen getrennt oder geschieden, und einige hatten bei dieser Gelegenheit im Zorn gar alle Fotos verbrannt oder zerrissen. Dennoch: 30 Paare fand Priore am Ende doch, und die rückten nun brav ins Polizeipräsidium ein, mit mehr oder weniger dicken Fotoalben und, soweit noch auffindbar, den dazugehörigen Negativen.,Und siehe: Auf zweien der Fotos hebt sich im Hintergrund ein mächtiger Schiffsumriß ab, es könnte die „Saratoga“ sein. Entwarnung also für die Amerikaner – die Wahrheit ist, so scheint es, auf ihrer Seite.
Doch da rümpft sogleich einer schwer die Nase: Andrea Purgatori, Journalist des Corriere della sera, der Reporter, der seit 13 Jahren unermüdlich die Wahrheit über Ustica herauszufinden sucht (und über den es gar schon einen allerdings nicht sehr erfolgreichen Film gibt, „Muro di gomma“): Er hat, und wieder ist er wohl nicht im Unrecht, sogleich darauf aufmerksam gemacht, daß die meisten Hochzeitsfotos am Nachmittag gemacht werden (vor dem abendlichen Mahl) – und daß, selbst wenn sie am Vormittag geschossen worden wären, die „Saratoga“ bequem von einer Nachtübung vor Sardinien (wie Admiral Flaherty vor zwei Jahren auch behauptet, dann auf Weisung des Pentagon aber wieder dementiert hat) wieder zurück hätte sein können.
Immerhin: Für die beteiligten Paare, deren Ehe bis heute gehalten hat, war es ein schönes Auffrischen der Erinnerung. Werner Raith
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen