■ Urteilsverkündung im Fall der Fähre „Jan Heweliusz“: Schuld war der Kapitän!
Stettin (taz) – Fast exakt ein Jahr nachdem das polnische Passagierschiff „Heweliusz“ auf seiner Fahrt von Stettin nach Ystadt (Schweden) bei einem schweren Sturm mit Windstärke 10 kenterte und 55 Menschen in den Wellen der aufgewühlten Ostsee umkamen, hat das Schiffahrtsgericht in Stettin in erster Instanz sein Urteil gesprochen. Aus der 100 Seiten langen und umständlichen Urteilsbegründung des Vorsitzenden Richters ging dabei vor allem eines hervor: die eindeutige Schuld des Kapitäns.
Kapitän Andrzej Ulasiewicz, so der Richter, hat nicht nur das Auslaufen des beschädigten Schiffs zugelassen, sondern dieses auch falsch manövriert. Als Hauptursache des Unfalls, den nur neun Menschen – alles Besatzungsmitglieder – überlebten, machte das Gericht Kunstfehler des Kapitäns und der diensthabenden Offiziere sowie die ungünstigen Verhältnisse aus. Vor allen Dingen sei es sein Fehler gewesen, daß er bei wachsender Schlagseite die Geschwindigkeit des Schiffes stark gedrosselt habe. Das Ballastwasser wurde dadurch ungleichmäßig verteilt. Außerdem habe der Kapitän zu spät Alarm geschlagen. Die Besatzung habe sich in dieser Lage nicht rechtzeitig auf die Auslösung des Alarms besonnen und noch dazu unzureichende Angaben über die genaue Position des Schiffes gemacht, was den Rettungsmannschaften ihre Arbeit noch zusätzlich erschwert habe.
Keinerlei Kritik übte das Gericht am Verhalten der deutschen Rettungsmannschaften, denen von polnischer Seite kurz nach dem Unglück zahlreiche Fehler vorgeworfen worden waren. Einwände hatte der Richter jedoch gegen die Koordinierung der polnischen Rettungsmaßnahmen, die viel zu spät und absolut chaotisch durchgeführt worden seien.
Das Urteil, in dem vor allem das Versagen des Kapitäns, der das Unglück nicht überlebte, hervorgehoben wird, geht nur am Rande auf die unzulängliche Wartung der „Jan Heweliusz“ durch die polnische Reederei Euroafrika ein. Vertreter der Hinterbliebenen der Opfer hatten während des Prozesses belegt, daß das Schiff mit Getriebeschaden auf die Reise geschickt worden war und zahlreiche technische Mängel aufwies, die zusammengenommen dazu hätten führen müssen, das Schiff aus dem Verkehr zu ziehen und für längere Zeit in Reparatur zu schicken. Man kritisierte jedoch auch die Reederei, die akzeptiert habe, daß der Kapitän den Schaden an der Heckklappe mit Bordmitteln reparierte, ohne sich vom Ausmaß des Schadens zu überzeugen. Vermutlich führten fehlende oder fehlerhafte Verschlußriegel der Heckklappen dazu, daß Wasser eindringen konnte und die Fähre kenterte.
Das Gericht folgte dem insofern, als es das polnische Schiffsregister unzureichender Aufsicht beschuldigte. Der Argumentation, die unzureichende Wartung sei am Unglück mit schuld gewesen, wollte das Gericht allerdings nicht folgen, es gebe keine Hinweise darauf, daß die Schäden am Schiff dem Kapitän das Manövrieren erschwert hätten.
Die zahlreich bei der Urteilsverkündung vertretenen Witwen der umgekommenen Passagiere und Besatzungsmitglieder nahmen das Urteil mit völligem Unverständnis und Enttäuschung auf. Anwälte der Hinterbliebenen äußerten die Befürchtung, die ohnehin bereits schleppenden Entschädigungszahlungen der polnischen Versicherung der „Heweliusz“, der Warschauer inzwischen privatisierten Versicherung Warta, würden durch den Urteilsspruch noch weiter verzögert werden. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Vertreter der Geschädigten kündigten bereits an, in die zweite Instanz zu gehen. Klaus Bachmann
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